Partnerstadt auf der Krim Ludwigsburgs verkorkste Liebesbeziehung
Keine Austausche, weniger Kultur, kaum noch Kontakte: Die Beziehung zwischen Ludwigsburg und Jevpatorija ist besonders – und wegen Putins Politik nun auch besonders tragisch. Sechs Betroffene berichten von ihren Verlusten und Rettungsversuchen.
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Ein Auftritt aus vergangenen Tagen: Das Ludwigsburger Schlossjubiläum im Jahr 2004 feierten auch Krimtataren aus Jevpatorija mit.
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Ulrich Hebenstreit, 72, Vorsitzender des Freundeskreis Jevpatorija: Als sich unser Freundeskreis gegründet hat, war die Not in Jevpatorija groß. 1992 ist das gewesen, und die UdSSR war gerade im Zusammenbruch begriffen. In Jevpatorija – und natürlich nicht nur dort – hat es buchstäblich an allem gefehlt. An Grundnahrungsmitteln, Medikamenten, Kleidung und, und, und. Die Menschen haben ums Überleben gekämpft. Der Freundeskreis hat versucht, viele dieser Probleme zu lösen. Wir haben Kleidung gesammelt, Medizin, Atemschutzmasken für die Feuerwehr, Intensivbetten für ein Krankenhaus, und einmal haben wir auch ein Müllfahrzeug auf die Krim transportiert, das hier ausgedient hatte, aber dort noch gut zu gebrauchen war. Die treibenden Kräfte waren das Rote Kreuz und die Feuerwehr. Und die Stadt hat uns immer unterstützt. Der frühere Oberbürgermeister Christof Eichert hat einmal gesagt, die Arbeit des Freundeskreises habe wesentlich mit dazu beigetragen, dass die Verbindung zwischen Ludwigsburg und Jevpatorija die „breiteste und tiefste“ unter allen Ludwigsburger Städtepartnerschaften geworden sei. Leider sind unsere Aktivitäten, mit der Annexion ziemlich gebremst worden. Aber wir halten an der Partnerschaft fest. Und wichtig ist der Freundeskreis noch immer. Auch weil wir die Bescheinigung für Spenden ausstellen. Und Spenden sind durchaus noch immer nötig. Viele kulturelle Projekte und Austauschprogramme wären ohne Geld von großzügigen Menschen nicht möglich.
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Christine Süß, 63, Beauftragte für die Ludwigsburger Städtepartnerschaften: Unser lange geplantes Projekt konnten wir nicht mehr umsetzen: Wir wollten ein Altenheim in Jevpatorija so umbauen, dass es komplett mit erneuerbaren Energien funktioniert. Wir hatten bereits Erfahrung gesammelt beim Ethnohotel Jeval. Die Krimtataren haben das Hotel gebaut und bezahlt, aber die Beratung kam von Ludwigsburg. Das war ein echtes Leuchtturmprojekt und sehr herausfordernd, auch weil die ganzen Pläne hin und her übersetzt werden mussten. Wir haben im Laufe der Zeit vieles gemeinsam gemacht. Angefangen hat es Mitte der 90er Jahre mit einem Programm für Unternehmer. Handwerker kamen für zwei Wochen nach Ludwigsburg, haben sich Betriebe angeschaut und Ideen für zu Hause geholt. Das Ziel war es, Jevpatorija beim Aufbau eines Mittelstands zu helfen. Da hatte es ja ausschließlich Kombinate gegeben. Für Praktikanten gab es auch ein Programm. Sie wurden sechs Monate lang in ihrem Ausbildungsberuf geschult. Doch bis es mit der Verständigung halbwegs funktionierte, war die Zeit vorüber. Deshalb haben wir in Jevpatorija schließlich Workshops für viele Berufsbilder angeboten. Die kamen sehr gut an. Seit der Annexion können wir nicht mehr als offizielle Delegation in unsere Partnerstadt reisen. Natürlich sind wir immer noch in Kontakt, aber die persönlichen Kontakte in der Verwaltung sind weniger geworden. Unser Oberbürgermeister Matthias Knecht und der Bürgermeister von Jevpatorija kennen sich gar nicht persönlich.
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Iris Dannenmann, 42, Bäckermeisterin: Bis ich im September 1999 nach Jevpatorija gekommen bin, hatte ich mir keine Gedanken über die Ukraine gemacht. Ich war mit der Oscar-Walcker-, also meiner Berufsschule dort. Damals machte ich eine Ausbildung zur Bäckerin. Und noch heute denke ich, dass diese eine Woche in Jevpatorija enorm lehrreich war. Nicht nur wegen des facettenreichen Programms, das für uns gestaltet wurde. Mir ist damals so richtig bewusst geworden, wie gut es uns geht. Wie privilegiert wir lernen und arbeiten dürfen. Wenn ich an die Ausstattung für die Bäcker an der Berufsschule dort denke – so hat man bei uns vielleicht vor 100 Jahren gearbeitet. Aber die Leute waren trotzdem sehr zufrieden. Mitgegründet hat den Austausch unser Lehrer Friedhelm Wittfeld. Anfang der 90er Jahre besichtigte eine Delegation aus Jevpatorija die Oscar-Walcker-Schule. Dabei gab es Teilchen aus Blätterteig, was die Teilnehmer offenbar nicht kannten, ihnen aber sehr gut geschmeckt hat. Aus dem Gespräch über den Teig entstand letztlich die Idee für den gegenseitigen Austausch, der über viele Jahre sehr gut funktioniert hat; zurzeit aber gar nicht. Das finde ich sehr schade.
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Alla Neidhardt, 50, Lehrerin: Es ist eine Tragödie, dass wir mit unseren Schülern nicht mehr nach Jevpatorija reisen können. Dass diese Erfahrung wegfällt – das ist wirklich schlimm. Unsere Partnerschaft mit dem Gymnasium Nummer acht bestand seit 1999, genau genommen besteht sie noch immer. Aber wir können die Partnerschaft nicht leben. Die Schüler haben durch diese Begegnungen so elementare Erfahrungen gemacht. Natürlich haben sie ein viel besseres Verständnis für die Sprache entwickelt. Aber sie haben darüber hinaus noch viel mehr gelernt. Sie sind offener geworden, toleranter, selbstständiger und weitsichtiger. Für die Völkerverständigung sind Austausche eine großartige Sache. Seit wir nicht mehr auf die Krim reisen können, habe ich bei bestimmt 20 Schulen in Russland gefragt, ob sie Interesse an einem Austausch haben. An unserer Ludwigsburger Waldorfschule lernen alle Schüler von der ersten Klasse an Russisch. Auch deshalb war die Partnerschaft großartig. Aber wen ich auch gefragt habe, alle haben schon Partnerschulen. Inzwischen fahren wir auf Studienfahrt nach Sankt Petersburg. Das ist auch schön, aber nicht mit einem Austausch zu vergleichen.
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Siegfried Bauer, 75, Landeskirchenmusikdirektor i. R.: Als Dirigent bin ich seit 1995 14-mal in Jevpatorija gewesen: zusammen mit dem Jugendsinfonieorchester Ludwigsburg, dem Sinfonieorchester Ludwigsburg und der Kantorei der Karlshöhe Ludwigsburg. Bei jedem Besuch haben wir ganz und gar Unglaubliches erlebt. Die Menschen in unserer Partnerstadt lieben die Musik überaus, die Musik hat natürlich auch eine große völker- und menschenverbindende Kraft. Auch die Profimusiker aus Jevpatorija waren von unseren Besuchen begeistert. Viele konnten mit ihrem studierten Beruf ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten. So habe ich mit diesen Kollegen ein Kammerorchester gegründet, das heute noch besteht. Das letzte große Projekt unserer Musikbrücke, Hadyns Schöpfung, liegt leider schon zehn Jahre zurück. Die Ensembles aus Jevpatorija sind 2013 zum letzten Mal in Ludwigsburg gewesen. Und wir reisen inzwischen nur noch in kleiner Besetzung auf die Krim. Doch gerade in politisch schwierigen Zeiten sind solche Brücken überaus wichtig. Musik kann mithelfen, bei den Menschen Vertrauen in das Gute und in den Frieden zu bewirken.
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Diana Busch, 47, Sozialarbeiterin: Unser Verein Frauen für Frauen ist seit mehr als 15 Jahren mit der Frauenorganisation Ariadna in Jevpatorija verbunden. Unser gemeinsames Thema ist häusliche Gewalt. Die Definition von Gewalt ist auf der Krim eine ganz andere als bei uns. Die Gesetzeslage ist auch nicht zu vergleichen, und Beratungs- und Hilfsangebote für Frauen gibt es kaum. Aber wir unterstützen unsere Schwestern im Geiste, so gut wir können, mit Rat und Wissen. Im vergangenen Jahr haben sieben unserer Mitglieder an einer Frauenkonferenz in Jevpatorija teilgenommen, die Ariadna organisiert hatte. Das haben wir uns trotz der Reisewarnung nicht nehmen lassen. Die Verwaltung von Jevpatorija hat Ariadna dort Unterstützung versprochen, damit endlich wenigstens eine Wohnung für Frauen in Not angemietet werden kann. Aber aus dieser Ankündigung ist noch nichts geworden. Und der Verein kämpft weiter ums Überleben. Zum Glück gibt es in Ludwigsburg immer wieder Aktionen, bei denen für Ariadna gespendet wird. Ich denke, dass es für die Frauen in Jevpatorija auch sehr wichtig ist, dass sie wissen, dass wir da sind und dass unsere Freundschaft erhalten bleibt.