Der Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie feiert in Berlin sein 125-jähriges Jubiläum. Doch Bundespräsident Joachim Gauck mag nicht nur loben – er redet den Gesamtmetallern ins Gewissen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Berlin - Das hat selbst der Festredner Joachim Gauck nicht gewusst: Der Verband der Metallarbeitgeber wird 125 Jahre alt – und erstmals überhaupt spricht ein Bundespräsident zu ihnen. „Einen merkwürdigen Ort haben Sie sich ausgesucht“, sagt dieser. Ausgerechnet im Berliner Ensemble, einst das Wohnzimmer von Bertolt Brecht, feiern die Arbeitgeber sich selbst. „Da fällt mir erst einmal Klassenkampf ein“, sagt Gauck. Zumal an gleicher Stelle 1893 auch „Die Weber“ von Gerhart Hauptmann uraufgeführt wurden – wegen des aufrührerischen Charakters in einer geschlossenen Veranstaltung. Dabei betreiben die Metallarbeitgeber längst das Gegenteil: Ungeachtet aller Scharmützel im Detail suchen sie mit der IG Metall stets den Ausgleich. Gauck zeigt sich dankbar für die gemeinsame Kompromisssuche. Sie sei das Erfolgsgeheimnis der Industrie. Dass es der Bundespräsident aber nicht bei Worten der Anerkennung belassen würde, musste den Gastgebern klar sein.

 

Vielmehr redet Gauck ihnen ins Gewissen, „die kommenden Jahre als Zeit großer Herausforderungen für Investition, Innovation und Forschung zu begreifen“ und neue Anstrengungen nicht zu scheuen. Angesichts der Zurückhaltung vieler Unternehmen, in Deutschland noch zu investieren, drängt er: „Nur wenn die Furcht vor Investitionen uns nicht lähmt, kann die Erfolgsgeschichte fortgeschrieben werden.“ Vor dem Hintergrund des technologischen Wandels warnt er, wie das Kaninchen auf die Schlange zu schauen. Vielmehr müssten positive Beispiele aus der Arbeitswelt herausgehoben werden, „damit sich die Menschen nicht nur ängstigen“. Gauck begrüßt es, dass sich Arbeitgeber und Gewerkschaften aktiv an der Debatte über die Arbeit der Zukunft, konkret über die sogenannte Industrie 4.0, beteiligen. Dies ließe sich noch verstärken. „Wir brauchen mehr Unternehmen, die Pionierarbeit leisten“, sagt er. Auch kleinere mittelständische Betriebe sollten eingebunden werden.

Zu wenig Werbung für die Integration

Nicht genug der Mahnungen: Auch die betriebliche Weiterbildung älterer Mitarbeiter und benachteiligter Jugendlicher seien Aufgaben, „für die ich mir mehr Tatkraft und Entschlossenheit wünsche“. Mehr Dynamik sei nötig, um die kostbaren verborgenen Ressourcen zu nutzen – was auch für die ausländischen Mitbürger gelte: „Es gibt so viele Beispiele für gelungene Integration – wir hören nur so wenig davon.“

Dulger verspricht, die Herausforderungen anzugehen. Ansonsten gerät das Jubiläum zum Loblied auf die Sozialpartnerschaft. „Die friedliche Konfliktbeilegung unterscheidet uns wesentlich von anderen Gesellschaften – sie ist ein echter Standortvorteil“, sagt der Verbandspräsident Rainer Dulger. Dem IG-Metall-Chef Detlef Wetzel bekundet er offen seinen Respekt. „Dass es für Ihre Organisation auch nicht immer einfach war, wissen wir.“ Arbeitgeber und Gewerkschaft seien aufeinander angewiesen. Die Politik solle jedoch möglichst herausgehalten werden. „Die Tarifautonomie ist ein zerbrechliches Gut“, mahnt Dulger. Jede Einmischung von außen – wie beim Mindestlohn – führe dazu, dass das Werk von 125 Jahren „Stück für Stück zerbröckelt“.

IG-Metall-Chef: Von Streikland weit entfernt

Dass die Differenzen bei aller Harmonie nicht ausgehen, zeigt sich postwendend, als auch Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer fordert, den Regierenden nicht das Feld zu überlassen. IG-Metall-Chef Wetzel kontert: „Die Politik musste den Mindestlohn machen, weil die Tarifvertragsparteien versagt hatten.“ Tage zuvor hat Kramer noch geklagt, dass Deutschland als „Streikland“ wahrgenommen werde. Auch dies mag Wetzel nicht stehen lassen: „Wenn wir schon vom Sofa fallen, sobald in zwei Branchen zwei Wochen gestreikt wird, sollten wir ein bisschen robuster sein“, gibt er zurück. „Von einem Streikland sind wir weit entfernt.“