Anlässlich der Wiedervereinigung im Jahr 1990 ist in Stuttgart am Berliner Platz ein so genannter Friedensbaum gepflanzt worden. Er sorgte zunächst allerdings für reichlich Unfrieden: Demonstranten wollten ihn herausreißen.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Man hätte meinen können, „Deutschland – einig Futterland“ wäre das Motto gewesen, als vor zwei Jahren in Stuttgart groß gefeiert wurde. Es wurde geschlemmt entlang der Ländermeile auf der Theo, als die Landeshauptstadt die zentrale Feier zum Tag der Deutschen Einheit ausrichtete. Andererseits wurde auch viel gefeiert, gelacht und gejubelt – und nicht zuletzt immer wieder beschworen, wie gut es ist, dass alles kam, wie es gekommen ist. „Zusammen einzigartig“ eben – so das tatsächliche Motto.

 

Nun könnte man meinen, das gemeinhin friedliche und beschauliche Stuttgart hätte immer schon in bester Feierlaune den Nationalfeiertag am 3. Oktober begangen. Doch dem war nicht so, schon gar nicht beim ersten Mal. 1990 standen die Zeichen auf Krawall. Im Archiv der Stuttgarter Zeitung findet man Artikel, die so gar nicht von Friede, Freude, Einheitsjubel zeugen: „Steine und Farbeier gegen die Einheit“ ist in der Ausgabe vom 4. Oktober 1990 zu lesen. Chaoten aus der linken Hausbesetzerszene sorgten in der City für Unruhe, auf dem Wasen rotteten sich Skinheads zusammen. In Stuttgart? Man glaubt es heute kaum.

Demonstranten aus dem linken Spektrum

Es herrschte zwar nicht Chaos pur in der Landeshauptstadt. Es wurden selbstverständlich auch symbolische und festliche Veranstaltungen abgehalten, mit denen die Wiedervereinigung Deutschlands würdig begangen werden sollte. Aber diese Feierlichkeiten verliefen nicht ungestört. So hätte ein junger Friedensbaum, der vor der Liederhalle am Berliner Platz gepflanzt wurde, fast nie Wurzeln schlagen können. Denn just diese harmlose Szene stieß den linken Demonstranten auf: „So freundlich der Himmel sich zeigte, so wenig erfreulich hat sich am Mittwochvormittag bei der Liederhalle das Pflanzen eines ,Friedensbaumes’ durch Mitglieder des Bürgermeisteramts und des Gemeinderats angelassen. Eine Gruppe Jugendlicher versuchte, die kleine Zeremonie zum Tag der Einheit zu stören. Es kam auch zu Rempeleien, erst das Auftauchen von Polizisten setzte dem Radau ein Ende“, meldet die Stuttgarter Zeitung am 4. Oktober. „Mit dem Gebrauch von Meinungsfreiheit hatte das wenig zu tun, umso mehr mit der Lust an Provokation“, kommentierte der Lokalchef Martin Hohnecker.

Gleichwohl hatten die Demonstranten aus dem linken Spektrum bei einer Kundgebung in der Innenstadt auch eine Botschaft, die sie loswerden wollten. Redner der angemeldeten Demo, an der sich immerhin 400 Personen beteiligten, forderten zum „aktiven Widerstand gegen Großdeutschland“ auf, das sie durch die Wiedervereinigung befürchteten.

Neonazis treffen sich in einem Lokal in Wangen

Es war sicher unschön, dass die Linken in der Innenstadt die Parole „Nazis, verpisst Euch“ auf Schaufensterscheiben schmierten. Aber einen Anlass, sich gegen Rechte zu äußern gab es, wie ein StZ-Bericht über den Vorabend des Feiertags auf dem Wasen beschreibt: „Kurz vor Mitternacht sammelten sich am Dienstag im Freien etwa 60 Skinheads und brüllten ,Sieg Heil’, ,Deutschland erwache’ und ,Ausländer raus’. Als die Polizei anrückte, zogen die Neonazis ab. ,Die wollten uns provozieren’, meinte Herbert Puntigam von der Wasenwache. Drei Skinheads wurden angezeigt“, schreiben die Reporter über die rechten Hassschürer am Rande des Volksfestes. Auch wenn Stuttgart sich heute rühmen kann, keine auffällige rechte Szene zu haben: Zeitzeugen berichten, dass Neonazis und Skins damals unter anderem ein Lokal an der Ulmer Straße in Wangen als Treffpunkt hatten und durchaus in der Stadt immer wieder auffielen.

Trotz dieser unfriedlichen Stunden rund um den Feiertag und trotz der Chaoten, die der rotblühenden Kastanie („zur Zeit aber kahl“, meldet die StZ am 4. Oktober 1990): der Friedensbaum steht, „und es geht ihm gut“, kann Sven Hansen vom Gartenamt der Stadt bestätigen.

Hätte man damals wetten sollen, welcher Baum die 25-Jahr-Feier des wiedervereinten Deutschlands erleben würde, viele hätten wohl auf die Eiche, die als „Einheitsbaum“ in Möhringen beim Königin-Charlotte-Gymnasium „ins Erdreich gesenkt“ wurde, getippt – ihr stellte man auch noch eine Tafel mit dem Text des Nationallieds zur Seite. Leider falsch. Zwar ging es in Möhringen beschaulich zu, als die Christdemokraten dort zur kleinen Feierstunde luden. Aber die Einheitseiche gibt es inzwischen nicht mehr. „Sie musste leider dem Bau der Schulmensa weichen“, teilt das städtische Gartenamt mit.