Freddy Reck hat sich seinen Lebenstraum erfüllt: Mit Frau Rita und Hund Simba reiste er durch 56 Länder. Und wird beinahe halb tot geprügelt.

Reportage: Frank Buchmeier (buc)

Ludwigsburg - Der Abenteurer ist seit einigen Wochen zurück, aber noch nicht richtig hier angekommen. Freddy Reck sitzt auf einem Sofa, das ihm Freunde geliehen haben. Bananenkisten dienen ihm als Regale, das Telefon steht auf dem Bügelbrett. Reck startet seinen Laptop, auf dem Tausende Erinnerungen gespeichert sind. Jedes Foto hat eine Geschichte, Reck will sie erzählen. Wo beginnen? Am besten ganz vorne.

 

Als der Schüler Freddy Anfang der 50er Jahre in seinem oberschwäbischen Heimatdorf einen Film über Afrika sieht, beschließt er, selbst als Kameramann die weite Welt zu entdecken. Doch so wie kaum ein Junge, der Lokomotivführer werden möchte, als Mann tatsächlich einen ICE steuert, läuft auch Recks Leben in eine andere Richtung. Er studiert Maschinenbau, heiratet mit 23, wird Vater eines Sohnes, plant als Angestellter Supermärkte, baut seiner Familie ein Haus und macht sich schließlich als Werbefilmer selbstständig. Jahrzehntelang schlummert in ihm die Sehnsucht nach der Ferne.

Statt Eigenheim ein Wohnmobil

Mit Mitte fünfzig kramt Reck seinen Kindheitstraum unter dem Haufen Alltagspflichten hervor. Er tauscht die Sicherheit gegen die Freiheit, verkauft sein komfortables Eigenheim und konstruiert ein solides Wohnmobil - 180.000 Euro teuer, 220 PS stark, mit einem Spezialgetriebe für den Geländeeinsatz. Rita und Simba kommen mit an Bord; Ehefrau und Haushund sind Freddy Reck so nah wie sein Vollbart.

Am 11. Januar 2004 geht es los, von Ludwigsburg in Richtung Süden. Reck hat sein neues Zuhause nach dem Wüstenvogel Moula-Moula benannt. 13.000 Kilometer liegen hinter dem Zehn-Tonnen-Piepmatz, als im afrikanischen Verkehrschaos ein Taxi gegen sein Vorderrad schleudert. Drei Verletzte, großer Tumult auf der Küstenstraße von Dakar. Ein Senegalese spricht Reck an, sagt, dass er gesehen habe, dass den Deutschen keinerlei Schuld an dem Unfall treffe, aber dass die aufgebrachte Menge womöglich anders urteile: "Gib Gas, schnell, hau ab!" Reck gehorcht. Heute sieht er in dem Unbekannten "den ersten Schutzengel, der uns begegnete".

Religion als Weltsprache

Tagsüber sitzt Reck hinterm Steuer, abends liest er in der Bibel. Der einstige Ministrant glaubt: Nicht ich lenke, sondern ich werde gelenkt. In Nigeria schenkt ihm ein Missionar ein Holzkreuz. Als Reck an der nächsten Straßensperre mit vorgehaltener Kalaschnikow von einem korrupten Soldaten gefragt wird: "Was hast du aus Deutschland als Geschenk mitgebracht?", hält ihm Reck das Kruzifix entgegen: "Ich bringe Liebe und Frieden mit." Man lässt ihn passieren.

Im Februar 2006 ist die Spitze des Schwarzen Kontinents erreicht. Moula-Moula tritt per Containerschiff die Reise nach Argentinien an. Frau und Hund bleiben zunächst in Südafrika, während Freddy Reck alleine nach Buenos Aires fliegt, um sein Auto am Hafen persönlich in Empfang zu nehmen. Nach anderthalb Stunden über dem Atlantik fängt ein Triebwerk Feuer, es ist unklar, ob es die Air-Malaysia-Maschine zurück nach Kapstadt schafft. Panisch betrinken sich die Passagiere. Reck filmt die dramatischen Szenen in der festen Überzeugung, dass es nicht seine letzten sind. Die Notlandung gelingt.

Dem Tod ganz nah

Endlich in Buenos Aires angekommen, wird Reck überfallen und halb totgeprügelt. Er erwacht mit angebrochenem Genick auf dem Seziertisch einer Klinik. "Help me", bittet er eine Krankenschwester. Sie hilft. Vier Jahre später bekommt er in Thailand plötzlich hohes Fieber, fällt ins Delirium. Die Ärzte diagnostizieren eine Blutvergiftung und retten ihn mit Antibiotika.

Die meisten Menschen würden sich nach solchen Erlebnissen vom Pech verfolgt fühlen. Freddy Reck nimmt das Gegenteil wahr: Er sieht sich auf wundersame Weise beschützt. Nach jedem Rückschlag rappelt er sich auf und fährt weiter.

Tausende Kilometer weg als die Mutter stirbt

In den Anden steuert er Moula-Moula über die legendäre Ruta 40: "Die Straße war teilweise kaum breiter als mein Auto, daneben klaffte ein tausend Meter tiefer Abgrund." In Chile kocht er Frühstückseier in einem sprudelnden Geysir: "Das dauerte nur etwas länger als auf einem Herd." In Kalifornien wandert er zwischen roten Felswänden: "Einer der schönsten Orte unserer Erde." In Kanada filmt er Bären: "Es war ein unbeschreibliches Gefühl, diesen Raubtieren gegenüberzustehen."

Das Nomadentum hat seinen Preis. Während seine Frau alljährlich sechs Wochen in Ludwigsburg verbringt, um den Sohn, die Enkel und die Freunde zu sehen, bleibt Freddy Reck stets Tausende Kilometer von der Heimat entfernt - selbst als seine Mutter stirbt. Reck kann das teure Wohnmobil und den treuen Hund nicht allein lassen.

Gazelle statt Hundefutter

Durch Simba wird die Weltreise zu einer Beinahe-Weltreise. Australien und Neuseeland klammert Reck aus, um dem Rhodesian Ridgeback eine sechsmonatige Quarantäne zu ersparen. Der Hund genießt die artgerechte Erdrundfahrt: In Afrika verspeist er einen Gazellenschlegel, in Nordamerika schwimmt er mit Lachsen in kristallklaren Flüssen, in Asien tobt er mit Affen durch den Dschungel. Und überall ist Simba der Bodyguard der Recks, dunkle Gestalten fürchten seine Fangzähne. Als in Thailand nachts Banditen mit Buschmessern ums Wohnmobil schleichen, vertreibt er sie.

Kurz darauf wird der Bodyguard krank. Simba frisst kaum noch und hat Flecken auf der Zunge. Im Pet Hospital von Bangkok stellen die Veterinäre eine schwere Blutinfektion fest, vermutlich durch einen Zeckenbiss ausgelöst. Niemand kann Simba helfen. In Surat Thani, auf dem Gelände eines Affenreservats, wird er am 2. August 2010 eingeschläfert und beerdigt.

"Alles ist hier so kleinkariert"

Nach Simbas Tod beginnt der Heimweg. Ohne ihren Begleiter fühlen sich Freddy und Rita Reck unvollständig. Über 213.000 Kilometer haben sie ihr rollendes Sechs-Quadratmeter-Heim mit Simba geteilt. Wenn sie unterwegs stritten, was auch nach vier Jahrzehnten Ehe vorkommen kann, war es der Hund, der mit einem vorwurfsvollen Blick jeden Zwist beendete.

Via Indien, Pakistan, Iran erreichen Freddy und Rita Reck am 11. September 2011 schließlich Ludwigsburg. Sechs Jahre hatten sie für ihre Weltreise geplant, fast acht sind es geworden. Durch 56 Länder sind sie dem Sommer auf seinem Weg von Nord nach Süd und wieder in den Norden gefolgt. Nun spüren sie, wie kalt es in ihrer Heimat geworden ist. Sie verfolgen, wie im Fernsehen über die Finanzkrise berichtet wird. Sie hören, wie sich Bekannte Sorgen um die Rente machen. Sie müssen sich wieder mit Müllgebühren beschäftigen, eine Krankenversicherung abschließen, die Kehrwoche erledigen - und können es noch nicht fassen: "Alles ist hier so kleinkariert", sagt Freddy Reck, und dass sich vieles in den vergangenen acht Jahren verändert habe. Vor allem er selbst: "Auf einer Weltreise lernt man sich anders kennen."

"Ich setze mir neue Ziele"

So sitzt Reck auf dem geliehenen Sofa, um seinen Hals hängt die Kette mit dem Holzkreuz, das ihm der Missionar in Nigeria geschenkt hat. Sein Kindheitstraum ist erfüllt, und der 64-Jährige muss damit klarkommen, dass er ein solch großes Abenteuer nicht noch einmal erleben kann. "Ich setze mir neue Ziele", sagt er, "damit ich nicht in ein tiefes Loch falle."

Mehr als 800 Stunden Filmmaterial hat Reck von seiner großen Fahrt mitgebracht, er wird es in den kommenden Monaten sichten und für Vorführungen zusammenstellen, mit denen er durchs Land touren will. Maximal drei Jahre veranschlagt er für dieses Projekt. Dann möchte Freddy Reck mit seiner Rita und seinem Moula-Moula wieder in die Ferne. Südamerika, Afrika, überwiegend in die Wüsten. "Das Nichts", sagt er, "finde ich am faszinierendsten."

Das Tagebuch der Weltreise finden Sie hier.