Daimler beweist im Abgasskandal gute Nerven. Der Konzern bezeichnet sich als kooperationsbereit, wehrt sich aber gegen das Vorgehen der Staatsanwaltschaft.

Stuttgart - Daimler beweist im Abgasskandal gute Nerven beim Kampf an gleich zwei Fronten. Beim Dieselgipfel der Bundesregierung Anfang August hat der Konzern zusammen mit den anderen Herstellern hoch gepokert – und gewonnen. Denn entgegen den ursprünglichen Erwartungen hat sich die Politik mit dem Angebot der Branche zufrieden gegeben, Dieselautos mit Hilfe von Software-Updates sauberer zu machen. „Ich verstehe überhaupt nicht, weshalb die Regierung da nicht härter aufgetreten ist und Druck ausgeübt hat“, sagt sogar ein hochkarätiger Branchenvertreter, der den Stuttgartern nahesteht. „Die Hersteller waren vor dem Gipfel völlig in der Defensive. Dann kann eine Regierung doch nicht einfach nur das Angebot der Industrie entgegennehmen.“ Der Automann hätte es für politisch klug gehalten, wenn die Hersteller freiwillig mehr angeboten hätten, damit das Thema Diesel-Fahrverbot aus der Welt geschafft wird. Als Beispiele nennt er die Nachrüstung von Bussen im Öffentlichen Nahverkehr und von Transportern, die im städtischen Verteilerverkehr unterwegs sind.

 

„Mehr kommt da nicht“, heißt es im Konzern

Das Programm von Daimler: drei Millionen Dieselfahrzeuge mit Euro-5- und Euro-6-Motoren sollen mit einem Aufwand von voraussichtlich 220 Millionen Euro nachgerüstet werden. Zuvor hatte sich der Autokonzern bereits mit dem Kraftfahrtbundesamt auf technische Anpassungen bei 247 000 Fahrzeuge geeinigt. Und weiter? „Der Vorstand wird versuchen das Thema auszusitzen. Mehr kommt da nicht“, heißt es hinter vorgehaltener Hand im Unternehmen.

Mehr Kopfzerbrechen als die Politik bereitet dem Vorstand die Auseinandersetzung mit der Justiz um manipulierte Abgaswerte; der Verdacht der Staatsanwaltschaft: möglicher Betrug und strafbare Werbung. Im März hatte die Behörde die Ermittlungen aufgenommen, die sich gegen zwei namentlich bekannte und sowie weitere, unbekannte Daimler-Mitarbeiter richten. Im Durchsuchungsbeschluss, den die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Stuttgart beantragt hatte, ist nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ von einer Million Autos mit manipulierten Abgaswerten die Rede, die zwischen 2008 und 2016 in Europa und in den USA verkauft worden sein sollen.

Kein Kommentar zum Widerspruch gegen die Sicherstellung von Unterlagen

„Wir kooperieren vollumfänglich mit den Behörden“, versichern Konzernchef Dieter Zetsche und seine Mitarbeiter immer wieder. Mit Demutshaltung hat das freilich nichts zu tun. Der Konzern sieht sich zu Unrecht angegriffen und rollt den Ermittlern weder den roten Teppich aus, noch werden freiwillig alle Aktenschränke geöffnet und Datenträger ausgehändigt. So hat Daimler beim Amtsgericht Stuttgart Widerspruch eingelegt gegen die vorläufige Sicherstellung von Unterlagen durch die Staatsanwaltschaft Stuttgart bei zwei Razzien im Mai. Und warum? „Dazu äußern wir uns nicht“, heißt es lapidar. Zunächst hatten die Ermittler damals mit einem Großaufgebot von Staatsanwälten und Polizisten ein knappes Dutzend Objekte nach möglicherweise beweisrelevantem Material durchsucht. Da sie nicht alle gewünschten Unterlagen fanden, rückten die Staatsanwälte kurz darauf noch einmal an. Ein Daimler-Mitarbeiter hat in der Folge nun ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Strafvereitelung anhängen.

Auf dem Prüfstand hui, auf der Straße pfui: Wie die Autobranche mit den hohen Abweichungen bei den Abgaswerten umgehen sollte, hat bereits nach dem Bekanntwerden des VW-Skandals in den USA vor zwei Jahren zu Diskussionen im Verband der Automobilindustrie (VDA) geführt. Trotz drohender Diesel-Fahrverbote, so ist zu hören, konnte sich im Verband nicht die Meinung durchsetzen, dass die Branche ihr Verhalten ändern müsse, „weil uns sonst die ganze Sache um die Ohren fliegt“, so ein Insider. Die Oberhand behielten Unternehmen wie Daimler, die darauf beharrten, nichts Illegales zu tun und weiter machen zu wollen wie bisher. Aus der Sicht des Insiders hat „mancher Topmanager grottenfalsch eingeschätzt“, dass es nicht mehr nur um den Schadstoffausstoß der einzelnen Autos geht, sondern nunmehr auch um die Schadstoffbelastung der Menschen, vor allem in Städten – was wiederum in Form von Fahrverboten auf die Industrie zurückschlagen könnte. Dass VDA-Präsident Matthias Wissmann im Juli diffuse Kartellvorwürfe gegen unter anderem Daimler mit der Mahnung begleitete, die Branche müsse sich kritischen Fragen offener stellen und mehr Selbstreflexion üben, kam bei Daimler-Chef Zetsche gar nicht gut an.

Eigentlich muss eine Ausnahme eng definiert sein

Nach gegenwärtigem Kenntnisstand hat Daimler anders als VW keine verbotene Abschalteinrichtung verwendet, die die Abgasnachbehandlung so steuert, dass die Stickoxid-Grenzwerte nur auf dem Prüfstand, nicht jedoch auf der Straße eingehalten werden. Eine Abschalteinrichtung hat auch Daimler verwendet, nach eigener Überzeugung aber keine ungesetzliche. Die Stuttgarter berufen sich im Kern auf die Verordnung 715/2007 von Europaparlament und Rat. Zwar heißt es dort in Artikel 5, Absatz 2, im ersten Satz klar: „Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig.“ Aber es folgt der aus Daimler-Sicht entscheidende Satz: „Dies ist nicht der Fall, wenn … die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.“ Daimler hat Anfang 2016 nach einem Test bestätigt, dass zum Beispiel bei der C-Klasse bei Temperaturen unter zehn Grad die Abgasreinigung zum Schutz des Motors heruntergeregelt wird.

Das Problem: Unter welchen Bedingungen die Ausnahme gilt, wurde auf europäischer Ebene nicht festgelegt. In der deutschen Verordnung zur Umsetzung der EG-Typgenehmigung (EG-FGV) fehlt das Thema Abschalteinrichtung sogar gänzlich. Trotzdem kann eine Ausnahme nach Ansicht des Rechtswissenschaftlers Martin Führ von der Hochschule Darmstadt nicht beliebig in Anspruch genommen werden; sie sei stets eng auszulegen. „Wer als Fahrzeughersteller von dem Verbot abweichen will, muss dies besonders rechtfertigen. Zu rechtfertigen ist dabei insbesondere, dass die Abschalteinrichtung ’notwendig’ ist“, schreibt er in seinem Gutachten für den Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestags. Nachweisen müsse das der Autohersteller. Erteilt das Kraftfahrtbundesamt ohne oder ohne genaue Prüfung die Typgenehmigung, dann handeln aus Führs Sicht sowohl Behörde als auch Unternehmen rechtswidrig. Unter Juristen gibt es in der Frage freilich keinen Konsens.