Knapp zehn Jahre nach dem Absturz einer Concorde der Air France hat vor Gericht die Suche nach den Verantwortlichen begonnen.
03.02.2010 - 16:25 Uhr
Paris - Neuneinhalb Jahre scheinen eine lange Zeit zu sein. Was am 25. Juli 2000 ein Trümmerfeld war, ist heute einer dieser eintönigen Äcker, die den Flughafen Charles de Gaulle säumen. Allein eine Bronzetafel erinnert noch an die Concorde, die hier nahe der Pariser Vorstadt Gonesse kurz nach dem Start als Feuerball auf ein Hotel stürzte, die 100 Passagiere, neun Besatzungsmitglieder und vier vor dem Hotel wartende Menschen in den Tod riss. Die Fluggesellschaft Air France hat sich mit den Hinterbliebenen über finanzielle Entschädigungen geeinigt. Ein Jahr nach der Katastrophe sollen 173 Millionen Euro gezahlt worden sein. Die Hinterbliebenen, das sind vor allem Deutsche: Angehörige von 97 Urlaubern, die in freudiger Erregung erstmals in ihrem Leben in ein Überschallflugzeug gestiegen waren.
Aber neuneinhalb Jahre sind gar nichts. Als am Dienstag im westlich von Gonesse gelegenen Pontoise der Vorsitzende Richter Dominique Andréassier diejenigen aufruft, die wegen des Infernos strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden sollen, zeigt sich, wie dünn der Firnis ist, der sich seit jenem 25. Juli 2000 gebildet hat. Die alten Wunden brechen im Nu wieder auf. Wenn die Familien der Opfer so schnell entschädigt worden seien, dann deshalb, damit sie ihren Mund hielten, versichert Stéphane Gicquel von Frankreichs nationalem Verband der Unfallopfer. Dieser Vorwurf war auch schon 2001 zu hören. Als sicher gilt, dass Pflichtvergessenheit im Spiel war. Die Katastrophe hätte vermieden werden können.
Drei Hypothesen zum Unfallhergang
Drei Hypothesen zum Unfallhergang gibt es. Da ist zunächst diejenige, die sich die Staatsanwaltschaft zueigen macht. Der Auslöser des Unglücks war demnach ein 40 Zentimeter langer, vier Kilogramm schwerer Metallstreifen. Eine vor der Concorde startende DC-10 der amerikanische Fluglinie Continental Airlines hatte ihn auf der Piste verloren. Er zerfetzte einen Reifen der Concorde. Aufgewirbelte Gummiteile rissen die Wand eines Kerosintanks auf. Der auslaufende Brennstoff fing Feuer.
Olivier Metzner, der Anwalt der Continental Airlines, hat angekündigt, er werde vor Gericht mit einer anderen Version aufwarten, wonach die Concorde bereits 700 Meter vor dem Erreichen des Metallstreifens Feuer fing, was auf einen Wartungsfehler oder eine Überladung zurückzuführen sei. Und dann steht da noch der Vorwurf im Raum, der Hersteller habe die Tanks ungenügend verkleidet, die Luftfahrtbehörde wider besseres Wissen nicht vor der Anfälligkeit von Tanks und Reifen gewarnt.
Bis zum 28. Mai haben die im Verdacht der Pflichtvergessenheit Stehenden dem Strafrichter Rede und Antwort zu stehen: die Fluggesellschaft Continental Airlines, zwei für sie damals tätige Techniker, zwei ehemals für das Concorde-Programm verantwortliche Ingenieure sowie ein leitender Angestellter der französischen Luftfahrtbehörde DGAC. Auf fahrlässige Tötung lautet die Anklage. Bis zum 28. Mai dürften Angeklagte, Anwälte und Sachverständige allerdings auch versuchen, die Verantwortung im Kreis herumzureichen.
Die meisten Hinterbliebenen haben offenbar beschlossen, sich das unwürdige Schauspiel gegenseitiger Schuldzuweisung nicht anzutun. Sie sind dem Auftakt des Verfahrens ferngeblieben. Ohnedies wären sie im Gerichtssaal zum Zuschauen verdammt gewesen. Als Gegenleistung für die Entschädigung hatten sie Air France 2001 versprochen, in einem Strafverfahren nicht als Nebenkläger aufzutreten.