Das Landgericht Stuttgart hat den Vater des Amokläufers von Winnenden und Wendlingen verurteilt, der Unfallkasse des Landes Schadenersatz zahlen zu müssen. Wie viel, das muss ein weiterer Prozess klären.

Manteldesk: Thomas Schwarz (hsw)

Stuttgart - Die 15. Zivilkammer des Stuttgarter Landgerichts hat am Freitag Jörg K., den Vater des minderjährigen Amokschützen von Winnenden und Wendlingen, grundsätzlich dazu verurteilt, der Unfallkasse Baden-Württemberg (UKBW) Schadenersatz zu bezahlen. Diese hat als Versicherung des Landes die Kosten für die Behandlung von Lehrern und Schülern übernommen, die beim Amoklauf am 11. März 2009 an der Albertville-Realschule verletzt wurden. Dies gilt auch für Kosten von zukünftig notwendigen Therapien, die zurzeit noch nicht absehbar sind. Trotz mehrerer Versuche war es nicht gelungen, einen Vergleich herbeizuführen. Zuletzt hatte die Unfallkasse vergeblich einen Betrag von 250 000 Euro als Vergleichssumme vorgeschlagen. Nun steht ihre Forderung von rund 716 000 Euro im Raum. Eine konkrete Schadenersatzsumme ist am Freitag allerdings noch nicht festgesetzt worden. Diese wird in einem weiteren Prozess, einem so genannten Betragsverfahren, ermittelt. Bevor dieses eingeleitet wird, muss jedoch abgewartet werden, ob das Urteil vom Freitag rechtskräftig wird. Beide Parteien haben die Möglichkeit, dagegen Berufung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart einzulegen.

 

Vater hat gegen Aufsichtspflicht verstoßen

In dem Urteil hat das Landgericht weiterhin festgestellt, dass die Mutter des Amokschützen für das Geschehen nicht haftbar gemacht werden kann. Eine Verletzung der Aufsichtspflicht gegenüber ihrem Sohn habe „nicht mit einer für eine Verurteilung notwendigen Sicherheit festgestellt“ werden können. Die Verurteilung des Vaters fußt dagegen im Wesentlichen auf der Verletzung der Sorgfaltspflicht, wie sie bereits im Strafprozess vor dem Stuttgarter Landgericht Grundlage der Verurteilung gewesen war. Der Sportschütze hatte eine großkalibrige Automatikpistole statt in einem Safe in einem Wäscheschrank aufbewahrt, wo der 17-Jährige sie mühelos an sich nehmen konnte. Mit der Waffe erschoss der Jugendliche am 11. März 2009 15 Menschen und tötete sich damit schließlich selbst, als er von der Polizei in Wendlingen gestellt worden war.

Die schriftliche Ausfertigung des Urteils wird den beiden Parteien, von denen zum Verkündungstermin erwartungsgemäß niemand erschienen war, in den kommenden Tagen zugestellt. Von diesem Zeitpunkt an haben sie vier Wochen Zeit, um die Berufung einzureichen. Da die Kammer entschieden hat, die Mutter sei nicht haftbar zu machen, hätte auch die UKBW einen Grund, dagegen Einwände zu erheben. Denn Jörg K. hat zu Beginn des Prozesses über seinen Anwalt erklärt, er sei mittlerweile mittellos, seine Frau führe die Geschäfte des familieneigenen Betriebs.

Weiterer Prozess Jörg K.s gegen Psychiatrie

Neben diesem Prozess führt Jörg K. noch einen weiteren vor dem Landgericht Heilbronn. Dort hat er Klage gegen das Klinikum am Weissenhof in Weinsberg erhoben (wir berichteten). In diesem hatten die Eltern den 17-Jährigen untersuchen lassen, nachdem dieser den Verdacht geäußert hatte, mit ihm stimme etwas psychisch nicht. Die behandelnden Ärzte, so Jörg K., hätten es versäumt, die Eltern über den Zustand ihres Sohnes aufzuklären, weshalb es schließlich zu dem Amoklauf gekommen sei. Dazu wurde ein Gutachten angefertigt, das für den weiteren Verlauf des Prozesses entscheidend sein könnte. Dieses liege zwar mittlerweile vor, über den Inhalt könne jedoch im Moment noch nichts gesagt werden, so das Gericht. Zuerst sollen sich die Parteien, also Jörg K. und das Klinikum am Weissenhof, damit auseinandersetzen. Bis Mitte September haben sie dann Zeit, Stellung dazu zu nehmen.

Zu Beginn des am Freitag zu Ende gegangenen Prozesses vor der 15. Zivilkammer hatte parallel ein weiterer stattgefunden, in dem die Stadt Winnenden gegen Jörg K. auf Schadenersatz geklagt hatte. Diese machte Kosten geltend, die durch den Umbau der Albertville-Realschule entstanden waren. Der 17-Jährige hatte in mehreren Klassenräumen auf Schüler und Lehrer geschossen. Die Schule wurde umgebaut, um auch den durch die Berichterstattung weltweit bekannt gewordenen Anblick des Gebäudes zu verändern. Die Stadt einigte sich bereits nach dem ersten Gütetermin vor dem Landgericht mit der Allianz-Versicherung, bei der Jörg K. eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen hatte, auf eine Zahlung von 400 000 Euro. Damit war für die Stadt die juristische Aufarbeitung des Amoklaufs abgeschlossen.

Das Gericht hatte im selben Termin der UKBW einen ersten Vergleich vorgeschlagen, nach dem die Eltern des Amokschützen zehn Jahre lang jährlich 5000 Euro an sie bezahlen sollte. Sollten sie dies ohne Verzögerung leisten, wäre ihnen ein weiterer Betrag von nochmals 50 000 Euro erlassen worden. „Wir haben Auslagen von einer Million Euro. Wir konnten auf diesen Vergleich nicht eingehen“, sagte ein Sprecher der UKBW zur Ablehnung.