Eine neue Terrorwelle durchzieht die arabische Welt. Das Urlaubsland Tunesien ist ins Mark getroffen, auch Deutsche sind unter den Dutzenden Toten eines Anschlags auf zwei Hotels. Kuweit, Syrien und Frankreich sind ebenfalls blutige Schauplätze.

Sousse - Es sind Bilder des puren Horrors. Die Fotos zeigen zwei Touristen in Badehose, die erschossen neben ihren Sonnenschirmen im Sand liegen, einer mit Kopfschuss in einer Blutlache, die zweite Leiche bedeckt von einem Handtuch. Im Hintergrund entlang der aufgereihten Sonnenschirme sind umgestürzte Liegen zu sehen, als Badegäste des Strandhotels Imperial Marhaba sich in Panik in Sicherheit zu bringen versuchten. Augenzeugen zufolge beschwor das Hotelpersonal die Urlauber, sich in ihren Zimmern zu verbarrikadieren. Einige rannten daraufhin in dem Chaos zurück an den Strand, um ihre Schlüssel zu holen, was sie das Leben kostete.

 

Drei Monate nach dem verheerenden Anschlag im Bardo-Museum in der Hauptstadt Tunis mit 22 Toten wird Tunesien erneut von einem schweren Attentat auf Feriengäste erschüttert. Laut dem Innenministerium kamen bei der Tat am Freitag kurz nach Mittag nahe der Hafenstadt Sousse mindestens 37 Urlauber ums Leben. 36 Opfer liegen mit teils schweren Schussverletzungen im Krankenhaus.

Nach offiziellen Angaben aus Tunis stammen die meisten Getöteten aus Deutschland, Großbritannien, Belgien und Tunesien. Das Auswärtige Amt in Berlin, das einen Krisenstab einrichtete, schloss nicht aus, dass Deutsche unter den Opfern sind, hatte am Abend aber noch keine genauen Erkenntnisse. Außenminister Frank-Walter Steinmeier verurteilte den „feigen Mordanschlag“ und bekräftigte, Tunesien brauche Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus.

Attentäter tarnten sich offenbar als Strandbesucher

Entgegen ersten Angaben verübte wohl nur ein Attentäter den Anschlag. Sicherheitskräfte erschossen den Mann. Es soll sich um einen Studenten aus Zentraltunesien handeln, der der Polizei bisher nicht als islamistischer Radikaler bekannt war.

Ein Sprecher des Innenministeriums in Tunesien sagte am Abend, es gebe „keine offiziellen Verhaftungen“ von weiteren Tatverdächtigen. Zuvor war von einem zweiten Täter die Rede gewesen, der festgenommen worden sei. Lokale Medien hatten gemeldet, zwei Terroristen seien von der Strandseite aus auf das Hotelgelände vorgedrungen. Einer habe plötzlich aus einem zusammengefalteten Sonnenschirm ein Sturmgewehr hervorgeholt und auf Menschen geschossen, die am Strand gelegen hätten.

Bisher bekannte sich niemand zu dem Attentat in Sousse. Tunesien ist in der arabischen Welt das Land mit dem größten Dschihadisten-Kontingent beim Islamischen Staat, gefolgt von Saudi-Arabien und Marokko. Mindestens 3000 junge Tunesier kämpfen in Syrien und Irak, Hunderte auch in Libyen. Weitere 9000 haben die Behörden in den letzten Monaten an der Ausreise in die Kampfgebiete gehindert – alles Angaben, die wegen der porösen Grenze zum Bürgerkriegsnachbarn Libyen eine sehr hohe Dunkelziffer haben dürften. Im Grenzgebiet zwischen Tunesien und Algerien operiert zudem mit „Okba Ibn Nafaa“ eine extrem gewalttätige Terrorgruppe, die zu 70 Prozent aus Algeriern und zu 30 Prozent aus Tunesiern besteht. Sie zählt sich zu Al-Kaida, ist sehr gut organisiert und hält sich in den Chaambi-Bergen verschanzt. Ihre Kämpfer sind nach Ansicht der tunesischen Staatssicherheit verantwortlich für den Anschlag auf das Bardo-Museum sowie für ein Massaker an tunesischen Soldaten im Juli 2014 während des Ramadan, als 15 Wehrpflichtige erschossen wurden.

Aufruf von IS-Sprecher als Auslöser der Gewaltwelle?

Gleichzeitig wachsen die Zweifel in Tunesiens Bevölkerung an der Kompetenz der Polizei. Schon bei dem Bardo-Attentat waren eklatante Sicherheitsmängel offenkundig geworden. So musste der Vizepräsident des Parlaments, dessen Plenarsaal direkt an das Museum grenzt, einräumen, von den vier Museumswachen am Haupttor hätten zum Zeitpunkt des Anschlags zwei im Café gesessen, einer war am Kiosk gegenüber einkaufen und der vierte nicht zum Dienst erschienen.

Die neue Gewaltwelle im Nahen und Mittleren Osten könnte ausgelöst worden sein durch den jüngsten Aufruf von IS-Sprecher Abu Mohammed al-Adnani. Er hatte zu Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan alle Muslime aufgefordert, sich dem Dschihad anzuschließen und ihr Leben als Märtyrer zu opfern. Am Donnerstag starteten die Dschihadisten des IS erneut einen Großangriff auf die syrisch-türkische Grenzstadt Kobane, wo sie laut Augenzeugen mehr als 140 Menschen hinrichteten. In Kuwait sprengte sich ein Fanatiker während des Freitagsgebets in einer schiitischen Moschee in die Luft, riss mindestens 25 Betende mit in den Tod und verwundete mehr als 200. Nur Stunden später bekannte sich der IS zu diesem Blutbad.