Der Präsident der Ukraine freut sich im ARD-Talk über den lernfähigen Kanzler Olaf Scholz und zeigt sich enttäuscht über die Merkel-Regierung.

Das war erneut ein starker Aufschlag von Caren Miosga in ihrer zweiten Sendung im neuen ARD-Talkformat am Sonntagabend. Mit dem Nachtzug war sie nach Kiew gereist, um am vergangenen Mittwoch den ukrainischen Präsidenten Wolodoymyr Selenskyj zu interviewen – und der äußerte sich eindrucksvoll weichgespült über den bei der Lieferung von Taurus-Marschflugköpern zögernden Kanzler Olaf Scholz, einen drohenden US-Präsidenten Donald Trump und fahnenflüchtige Ukrainern im Ausland. Zunächst aber tastete die russisch sprechende Moderatorin den Ukrainer auf die mögliche Kriegsmüdigkeit in seinem Land ab, war sie doch kurz vor ihrer Ankunft in Kiew von Raketenalarm überrascht worden und dabei einer Kiewerin begegnet, die weinend nur davon sprach, die ganze Sache solle endlich aufhören, „ die Zermürbung und der Terror“ dürften nicht weiter gehen. Selenskyj sagte, er spreche mit den Menschen in seinem Land, sie wollten ihr zuhause nicht verlieren und die erwähnte Frau sei „stark“, er sei ihr dankbar, es sei ein Unterschied in der Ukraine zu weinen oder „im Ausland stark zu sein“.

 

Kein Zwang zur Rückkehr in Ukraine

Für Miosga war das das Stichwort, nach den 200.000 Ukrainern im wehrfähigen Alter zu fragen, die in Deutschland leben, und ob man sie zur Rückkehr bewegen sollte. Selenskyj erläuterte, dass die Ukraine als demokratischer Staat da viele Entscheidungen und Gründe für einen Aufenthalt im Ausland respektiere. Was eine debattierte mögliche Kürzung von Bürgergeld für wehrfähige Ukrainer anbelangt, die nicht zurück wollen, sagte Selenskyj: „Das ist die Entscheidung Ihres Staates.“ Nicht hinnehmbar sei, wenn Ukrainer sich ihrer Steuerpflicht entzögen. Er rufe Olaf Scholz nicht zu, er müsse die Menschen zurück bringen: „Er kann uns niemand bringen oder dazu bewegen, zurück zu kommen.“ Im übrigen habe die Ukraine mit 880.000 Soldaten fast eine Millionen-Armee, im Land arbeiteten rund 30 Millionen Menschen und laut Schätzungen seien sechs bis siebeneinhalb Millionen Ukrainer ins Ausland gegangen. Aber sie alle verteidigten die Ukrainer.

Präsident Selenskyj als Populist?

Zumindest diese Einschätzung ist vom Leiter des ARD-Studios in Kiew, Vassili Godow, dann doch etwas relativiert worden: „Der Präsident sagt gerne populäre Dinge“, so Godow, eher negative Entscheidungen wie die über das neue Mobilisierungsgesetz überlasse er dann anderen, dem Verteidigungsministerium oder dem Militär. Es werde derzeit sehr wohl nach der Gerechtigkeit im Lande gefragt, wenn erschöpfte Soldaten an der Front nicht abgelöst werden und andere sich vom Wehrdienst frei kauften. Anzeichen von Kriegsmüdigkeit aber bescheinigte Sabine Fischer, Politikwissenschaftlerin und die zweite Expertin im Studio, aber auch Russland. Putin führe einen „brutalen Abnutzungskrieg“, bei dem Zehntausende seiner Soldaten in Städten wie Bachmut oder Awdijiwka „verheizt“ werden. Dass die Frauen von mobilisierten Männern nun ein Netzwerk gründeten und sich kritisch äußerten und vor allem der Zulauf zum Putin-Herausforderer und Oppositionellen Boris Nadeschdin sei ein Zeichen der Überdrüssigkeit des Krieges.

Von „Olaf“ nicht enttäuscht

Aber zurück zur Selenskyj. Anfangs war das Verhältnis von ihm zu Bundeskanzler Olaf Scholz als gespannt bezeichnet worden, Miosga sprach von einer Fehde. Davon ist jetzt offenbar nicht mehr die Rede: „Der Kanzler hat die Dinge jetzt besser verstanden, er hat mich und die Ukraine besser verstanden“, sagte Selenskyj. Er habe eingesehen, dass Putin nicht nur ein Name sondern eine Bedrohung sei, der mit einem Angriff auf die Nato in Deutschland, an den Grenzen, in Polen, dem Baltikum oder anderen Staaten einen Dritten Weltkrieg auslösen könne. „Angesichts dessen hat Olaf gespürt, dass er nicht nur deutscher Kanzler ist, sondern einer der Leader Europas. Deshalb sind seine Schritte die eines Leaders.“ Auf die Frage, ob er ein enger Freud von Scholz sei, sagte Selenskyj, dazu habe bisher die Zeit gefehlt. Man sei mental völlig unterschiedlich, habe aber das gemeinsame Ziel, den Frieden zu gewinnen. Zum Nein von Scholz zur Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern sagte der Präsident der Ukraine, dass Scholz dies nicht alleine entscheide. Das Thema sei auch in einem Telefonat mit Scholz besprochen worden, Einzelheiten wolle er nicht nennen „es gibt sehr viele Dinge, die ich Ihnen öffentlich nicht sagen kann“. Nach einer negativen Entscheidung des Bundestages zu den Taurus hoffe er jedenfalls auf eine „andere Entscheidung“. Enttäuscht sei er im Übrigen „nicht über Olaf“, sondern über die deutsche Politik, die die Besetzung der ukrainischen Krim durch Russland hingenommen habe. Damals, 2014, war Angela Merkel ( CDU) die Bundeskanzlerin. „Ich hätte erwartet, dass ein Deutschland als führendes Land Russland an den Verhandlungstisch zwingt, dass es ihm klar macht, dass dies nicht der richtige Weg ist und es das Völkerrecht nicht missachten darf.“ Jegliche Kritik vermied Selenskyj auch gegenüber einem möglichen US-Präsidenten Donald Trump, von dem nach einem Wahlsieg im November eine Streichung der US-Hilfen für die Ukraine zu erwarten ist. Es gebe eine große Mehrheit von Demokraten und Republikanern, die die Ukraine weiterhin unterstützen wollten: „Die US-Politik hängt nicht von einem einzelnen Menschen ab.“ Eine passive USA oder ein Ausbleiben der Hilfe wären allerdings ein schlechtes Signal. Er werde einen Weg zum Dialog mit Trump finden, sagte Selenskyj: „Wenn er mir eine Formel aufzeigt, wie er in 24 Stunden zu einem Frieden kommen kann, dann bin ich ein glücklicher Mensch.“

Skepsis über Waffenstillstand

Was einen mögliche „Deal“ zwischen der Ukraine und Russland – den Donbass und die Krim abtreten? – anbelangte, zeigte sich die Politologin Fischer allerdings skeptisch: Sollte Russland einem Waffenstillstand zustimmen, dann bedeute das nicht, dass der russische Krieg zu Ende sei. Die Destabilisierung der Ukraine werde weiter gehen, der imperialistische Impuls von Putin werde bleiben. Ähnliche Bedenken äußerte der ARD-Korrespondent Golod: Den Menschen in der Ukraine gehe es derzeit ums „tägliche Überleben“, sie hörten aber sehr genau die russischen Medien mit ihrer „genozidalen Rhetorik“ ab, in denen der Ukraine das Existenzrecht und Werte wie eigene Meinungsfreiheit abgesprochen werden. Putin habe viele Abkommen gebrochen und verstehe nur die Sprache der Stärke, das sei einhellige Meinung.

Klingbeil setzt sich leicht vom Kanzler ab

In der Studiorunde hatte der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil die Rolle des Kanzler-Verteidigers inne. Dass der die Entscheidung über die Taurus-Raketen noch prüfe, das sei legitim. Das Wort von Olaf Scholz, Deutschland sei nur eine Mittelmacht, wollte Klingbeil aber nicht ganz so stehen lassen. Das sei keine Kritik an Scholz. „Wir ergänzen uns“, sagte Klingbeil: „Wenn in den internationalen Beziehungen Mächte wie Russland, China und eine USA mit einem Präsidenten Trump das Geschehen bestimmen, dann muss Deutschland vorangehen, da müssen wir vorne sein.“ Trump, so Klingbeil, sei ein Sicherheitsrisiko.