Im jüngsten Heimspiel stellte die aktive Fanszene der Stuttgarter Kickers ihre Unterstützung ein. Später wird bekannt: Es geht um ein „geklautes“ 1312-Banner und einen Konflikt mit der Polizei. Unterstützung kommt außerdem von ungewohnter Seite.

Wenn die aktive Fanszene die Unterstützung ihrer Mannschaft einstellt, deutet das meist auf große Unzufriedenheit mit der Leistung des Teams auf dem Platz hin. Davon kann bei den Stuttgarter Kickers derzeit allerdings kaum die Rede sein. Zwar tat sich die Mannschaft aus dem Stadtteil Degerloch am vergangenen Samstag gegen Astoria Walldorf schwerer wie vielleicht erhofft. Doch das 2:2-Unentschieden wird bei den Fans des Regionalliga-Aufsteigers wohl kaum für wirklichen Unmut gesorgt haben. Dafür steht die Mannschaft als Tabellenführer nach 15 Spieltagen einfach zu gut da.

 

Dennoch stellte die aktive Fanszene im B-Block kurz vor der Halbzeit ihre Gesänge ein, rollte ihre Banner zusammen und verließ in weiten Teilen das Stadion. Der Grund: Offenbar hatte die Polizei sich nach dem Spiel gegen die VfB-Amateure Zugang zum Materialraum im Stadion verschafft und ein dort deponiertes „1312“-Banner der Ultras beschlagnahmt.

Protest gegen Beschlagnahmung

Das wurde den Ultras erst während des Spiels gegen Walldorf bekannt, als das Fehlen des Banners bemerkt wurde. Aus Protest über die aus ihrer Sicht unangebrachte Maßnahme verließen sie daraufhin das Stadion. „1312“ ist in Szenen, die der Polizei kritisch gegenüberstehen, ein Code für „ACAB“, was wiederum für „All Cops Are Bastards“ steht.

In einer am Sonntag veröffentlichten ausführlichen Stellungnahme der Fangruppierungen „Blaue Bomber 1995“, „Blue Fanatic 2009“ und „Young Care 2008“ wird eine lange Liste vermeintlicher Ungerechtigkeiten seitens der Polizei gegenüber den Kickers-Fans in den vergangenen Jahren ins Feld geführt. Das sei der Hintergrund für das „1312“-Banner gewesen. Die Geschehnisse am Samstag würde für die Fans einen neuen „Höhepunkt“ darstellen. Die Polizei trete im Zusammenhang mit den Kickers-Fans immer wieder willkürlich und juristisch mindestens fragwürdig auf, heißt es in der Stellungnahme.

Ultras von Verein enttäuscht

„Nachdem wir in den letzten Jahren immer mehr Steine in den Weg gelegt bekamen, waren wir gestern nicht mehr in der Lage, dies für weitere 90 Minuten zu verdrängen und die Mannschaft anzufeuern. Deshalb haben die Entscheidung getroffen zu gehen“, heißt es zur Begründung von den Ultra-Gruppierungen. Auch der Verein wird für fehlende Solidarität und mangelnde Kommunikation kritisiert, von „Enttäuschung“ ist die Rede. Zugleich wird ausdrücklich betont, dass die Einstellung der Unterstützung nichts mit der Mannschaft zu tun gehabt habe. Eine Presseanfrage unserer Redaktion zum Thema ließ der Verein unbeantwortet.

Polizei sieht keine Spannungen

Bei der Polizei zeigt man sich über die langen Ausführungen der Fanszene über vermeintliche Drangsalierungen verwundert. „Wir haben mit den Kickers-Fans kein größeres Spannungsfeld“, drückt es eine Pressesprecherin der Polizei am Telefon aus. Das beschlagnahmte Banner sei der Polizei aber schon länger bekannt gewesen. Dieses hätten die betreffenden Fans „ohne ersichtlichen Anlass“ immer wieder gezeigt.

Laut Polizeisprecherin sei das Gespräch mit den Verantwortlichen gesucht worden. Denn das Banner erfülle den Tatbestand der Beleidigung und verstoße gegen die Stadionordnung. „Das hat die aber wohl nicht richtig interessiert“, heißt es dazu. Um weitere „Ordnungsstörungen zu verhindern“, sei das Banner deshalb beschlagnahmt worden. Den Vorwurf des Diebstahls weist die Polizei von sich. Das Banner diene der Beweissicherung im vorgegebenen rechtlichen Rahmen.

Die Ultras berufen sich in ihrer Stellungnahme auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2016. Dort wird die „ACAB“-Parole mit dem Verweis auf die freie Meinungsäußerung als „nicht ohne weiteres strafbar“ deklariert. Beleidigend könne „ACAB“ nur dann sein, wenn sich „die Äußerung auf eine hinreichend überschaubare und abgegrenzte Personengruppe bezieht.“ Die Polizei sieht den Strafbestand der Beleidigung im vorliegenden Fall als gegeben.

Fans sind sich uneinig

Im Internet-Forum der Stuttgarter Kickers wird derweil fleißig diskutiert. Die Aktion der Ultras wird von einigen durchaus kritisch bewertet. „Ich dachte immer, die Stimmung soll der Mannschaft zugute kommen. Was hat die Polizeiaktion damit zu tun?“, äußert sich einer. „Die Ultras heute leider peinlich“ und von einem „Kindergarten“, schreiben auch andere.

Weitere Nutzer verteidigen die Fanszene. Die Polizei habe unrechtmäßig in privates Eigentum eingegriffen und das Zeichen der Ultras sei richtig gewesen, heißt es dort. Zudem stünden die Ultra-Gruppierungen frei in ihrer Entscheidung, wann und ob sie Stimmung machen wollten oder nicht. „Leider ist es wohl die einzige Möglichkeit sich Gehör zu verschaffen mit so einem Boykott“, meint einer der Nutzer.

VfB-Szene solidarisiert sich

Beim Pokalspiel des VfB Stuttgart am Dienstagabend gegen Union Berlin wurde in der Cannstatter Kurve ein Banner gezeigt: „Polizei Stuttgart: Belästigung wird toleriert – Bei Fahnen direkt einmarschiert.“ Ausnahmsweise scheinen sich die aktiven Fanszenen der beiden großen Vereine in der Landeshauptstadt einig zu sein.

Im Pokalspiel am Mittwoch gegen die TSG Backnang war die Kickers-Fanszene im Übrigen wieder gewohnt geschlossen und lautstark vor Ort. „Ich hoffe, die bestehenden Probleme konnten im Gespräch gelöst werden und wir im nächsten Heimspiel gegen Homburg - davor natürlich gegen Freiberg - wieder mit vollem Support versuchen der zwölfte Mann zu sein“, äußert sich ein Fan im Kickers-Forum nach dem Spiel und spricht damit wohl vielen Anhängern aus der Seele.