Das Ja der Bundesregierung zu Visaerleichterungen für Erdbebenopfer steht. Jetzt geht es um die komplizierte Frage des Wie? Ein auf Ausländerrecht spezialisierter Rechtsanwalt aus Stuttgart macht Vorschläge.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Engin Sanli ist ein gefragter Ansprechpartner. In diesen Tagen noch viel mehr als sonst. Der in Leverkusen geborene Stuttgarter mit türkischen Wurzeln hat eine Anwaltskanzlei, die auf Ausländer- und Asylrecht spezialisiert ist. In Zusammenhang mit der humanitären Hilfe für die Opfer des verheerenden Erdbebens vom vergangenen Montag stellen sich auch rechtliche Fragen. Eine lautet: Wie kann es bewerkstelligt werden, dass Menschen in Deutschland ihre von der Naturkatastrophe betroffenen Verwandten vorübergehend bei sich aufnehmen können? „Der Wunsch, dies in der aktuellen Notsituation tun zu können, ist groß“ ,weiß Sanli aus vielen Gesprächen.

 

Eine Petition mit bisher mehr als 6000 Unterschriften

Er selbst hat eine Petition gestartet, in der die Bundesregierung dazu aufgerufen wird, unbürokratisch zu ermöglichen, dass Erdbebenopfer in Deutschland von ihren Verwandten betreut werden können. Mehr als 6000 Unterschriften sind bisher eingegangen; die meisten aus dem Raum Stuttgart, wo besonders viele Menschen mit familiären Verbindungen ins türkische Erdbebengebiet leben. Inzwischen hat die Bundesregierung reagiert und – vornehmlich auch auf das Drängen der baden-württembergischen Landtagspräsidentin Muhterem Aras hin – Visaerleichterungen zugesagt. Über die konkrete Ausgestaltung berät eine Taskforce des Auswärtigen Amtes und des Bundesinnenministeriums.

Der Stuttgarter Anwalt, dessen Frau bei der Katastrophe vier Cousinen verloren hat, sieht darin „ein bisher einmaliges positives Zeichen“. Die hier lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln würden diesen Schritt als „Riesenanerkennung“ sehen und wertschätzen. Jetzt geht es um eine möglichst praktikable Umsetzung dieser Ankündigung. Am Visaverfahren, so hat das Auswärtige Amt signalisiert, soll grundsätzlich festgehalten werden. Gesucht werden Wege, wie dieses in der aktuellen Ausnahmesituation sinnvoll abgekürzt werden kann, denn üblicherweise dauern von der Antragstellung bis zur Genehmigung zwei Monate.

„Die Türkei ist bei der Digitalisierung der Verwaltung viel weiter als Deutschland“

Engin Sanli hat eine Idee, wie das gelingen könnte. Weil viele Betroffene über keine Ausweisdokumente mehr verfügen, würde es sich anbieten, ihre Identität über das elektronisches E-Devlet-System zu bestätigen. „Die Türkei ist bei der Digitalisierung der Verwaltung viel weiter als Deutschland“, sagt der 33-Jährige. Mittels Passwort werden viele Dokumente abgerufen – vom polizeilichen Führungszeugnis bis zu Auszügen aus dem Familienstammbuch. Auf dieser Grundlage könnten die Deutsche Botschaft in Ankara oder die Konsulate in Izmir und Ankara befristete Visa ausstellen. Noch einfacher wäre es, die deutschen Behörden würden sich mit einem einfachen Melderegisterauszug begnügen.

Sanli bietet an, den Antragstellern im Zusammenspiel mit den deutschen Behörden behilflich zu sein. Aktuell ist er auf dem Weg nach Istanbul, um sich mit türkischen Anwaltskollegen und der Anwaltskammer zu beraten. Gemeinsam wollen sie möglichst schnell und direkt helfen. Auch über eine Hotline für Betroffene wird nachgedacht. Für Kinder, die von dem Erdbeben besonders betroffen sind, regt Sanli zusätzlich die Einrichtung eines Sonderkontingents an, um ihnen eine Aufenthaltserlaubnis zu ermöglichen.

Einen Vorschlag hat der Stuttgarter Anwalt auch in Bezug auf die notwendigen Verpflichtungserklärungen, mit denen hier lebende Verwandte bestätigen sollen, dass sie für den Unterhalt der Einreisenden aufkommen können. Die Ausländerbehörden sollten diesen Vorgang in der jetzigen Situation vorrangig behandeln. In Stuttgart könnten auch die Bürgerbüros behilflich sein – trotz deren personeller Probleme. Insgesamt ist Sanli zuversichtlich, dass eine praktikable Lösung gefunden wird: „Der politische Wille ist da. Das bedeutet schon mal sehr viel.“

Der Ludwigsburger SPD-Bundestagsabgeordnete Karaahmetoglu will auch andere Botschaften mit einbeziehen

Mit Vorschlägen meldete sich am Montag auch Macit Karaahmetoglu zu Wort, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Ludwigsburg, Anwalt, und Präsident der Deutsch-Türkischen Gesellschaft in Berlin. Karaahmetoglu regt an, die deutschen Auslandsvertretungen in der Türkei personell deutlich aufzustocken und einen 24-Stunden-Betrieb einzurichten. Außerdem schlägt er vor, dass Deutschland auch Visa anerkennt, die von anderen Schengen-Staaten ausgestellt werden. Auf diese Weise könnten deren Botschaften bei der Antragstellung mit einbezogen werden. „Das sollten wir in dieser Krisensituation erlauben“, rät er.