Das Justizministerium überprüft in mehr als tausend Fällen, ob sich ungarische Staatsangehörige als geflüchtete Ukrainer ausgeben, um unrechtmäßig an Bürgergeld zu gelangen. Ausländerbehörden und Jobcenter im Südwesten sind alarmiert.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Die Ausländerbehörden und Jobcenter im Land sind einem umfassenden Sozialleistungsbetrug auf der Spur. Ungarische Staatsangehörige hatten erst kurz zuvor ausgestellte ukrainische Pässe vorgelegt, ohne über ihre wahre Identität aufzuklären. Die Absicht war es, auf diese Weise an Bürgergeldleistungen zu gelangen.

 

Nach Angaben des baden-württembergischen Justizministeriums wurden bisher rund 1700 Verdachtsfälle zur Überprüfung an die ungarischen sowie ukrainischen Behörden gemeldet. Rund 500 Rückmeldungen von beiden Seiten lägen vor, sagt eine Sprecherin. In 58 Fällen sei die ungarische Staatsangehörigkeit bestätigt worden.

Angebliche Ukrainer verstehen kein Ukrainisch

Bundesweit geht das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) von mehr als 5600 Fällen aus. Aufgekommen war der Verdacht schon 2023 zunächst im Südwesten. Mitarbeiter der Jobcenter Heilbronn und Mannheim waren misstrauisch geworden, als sie im direkten Gespräch mit Leistungsbeziehern feststellten, dass der ukrainische Dolmetscher sich mit diesen nicht verständigen konnte. Ähnliche Verdachtsmomente tauchten in Ausländerbehörden auf. Seit Mai 2023 gibt es die Möglichkeit, solche Fälle zentral über das Regierungspräsidium Karlsruhe an das Bamf zu melden, das sie zur Überprüfung an die ungarischen und ukrainischen Behörden weiterleitet.

„Wir haben unmittelbar reagiert und die Ausländerbehörden bei der Einrichtung eines Überprüfungsverfahrens unterstützt“, sagt Siegfried Lorek, Staatssekretär für Migration im Land. Ziel sei es, Falschangaben aufzudecken, bevor eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werde. „Nach unserem aktuellen Stand handelt es sich noch nicht um ein Massenphänomen, wir wollen aber jedem Einzelfall konsequent nachgehen und vor allem auch weniger offensichtliche Fälle aufdecken.“ Deshalb seien die Ausländerbehörden mehrfach vom Ministerium angeschrieben und für das Thema sensibilisiert worden.

Beide Staatsangehörigkeiten verhindern Schutz für Geflüchtete

Angehörige der ungarischen Minderheit in der Ukraine können zwar beide Staatsangehörigkeiten besitzen. Dann haben sie jedoch keinen Anspruch auf vorübergehenden Schutz für Geflüchtete. „Die EU-Freizügigkeit ist hier vorrangig“, sagt die Ministeriumssprecherin. Wenn die Aufenthaltserlaubnis schon erteilt worden sei, werde sie zurückgenommen. Durch Täuschung erzielter Bezug von Sozialleistungen sei strafbar.

„Direkten Zugang zum Bürgergeld zurücknehmen“

Lorek führt die Fälle auf den Rechtskreiswechsel für ukrainische Flüchtlinge vom Asylbewerberleistungsgesetz in die Grundsicherung zurück. „Das Leistungsniveau in Deutschland ist deutlich über dem zum Beispiel in Frankreich“, sagt der CDU-Politiker. „Deshalb sollte für neu ankommende Personen aus der Ukraine der direkte Zugang zum Bürgergeld zurückgenommen werden.“