Mythen, Monster und die Frage, was eigentlich real ist: Darum kreist die neue Schau der Städtischen Galerien Esslingen mit (überwiegend) Videoarbeiten von acht Künstlerinnen.

Esslingen - Die „rosenfingrige Eos“ ist so ein ergrauter Altphilologentraum, der ursprünglich ein wunderschönes Sprachbild Homers von der mythisch belebten Natur war: Eos, die lebendig personifizierte Morgenröte, taucht die erwachende Welt ins rosige Licht der Frühe. Auch in der Esslinger Villa Merkel – sinnigerweise im zentralen Oberlichtsaal – scheint einem die holde Eos Rosenfinger entgegenzustrecken, freilich von etwas spröder Art. Zweige einer kopfüber hängenden Esche – Stamm oben, Krone unten – mäandern in den Raum, rosa gefärbt von der isländischen Künstlerin Gabriela Fridriksdóttir. Aber die pflanzliche Morgenröte schillert naturgemäß noch in weiteren magisch-mythischen Bedeutungen: denen vom Stammbaum, von der Kosmogonie, von der Weltesche, in der altisländischen Sagen- und Mythensammlung Edda das Bild der ganzen entstandenen Welt. Die folglich auch eine vergehende ist. Deshalb liefert Fridriksdóttir gleich den Untergang nach. Die Videoinstallation „Crespusculum“ gibt auf Bewegtbildern hinter einem realpräsenten Sandhaufen mit Tonkrugresten nur übertragenen Sinnes jene Abenddämmerung zu erkennen, die das lateinische Titelwort bedeutet: Zu sehen ist die Archäologie einer im Wüstensand untergegangenen Zivilisation, deren Keramik-Überbleibsel sich ausnahmsweise auch mal zur Erinnerung ans Menschenähnliche fügen, zum Golem im Wortsinn. Sonst im Bild: lemurenhafte Menschenkörper und allerlei Animalisches, rostige, nie mehr abgeholte Container und ein mittelalterlicher Kodex, der wohl prophetisch ahnt, was später lodert in den Flammen des Weltenbrands (der vielleicht nur ein brennendes Buch ist, eine Vernichtung tradierter Text- und Sinnkomplexe).