Der Mundart-Autor und StZ-Kolumnist Gerhard Raff sammelt seit Jahrzehnten provenzalische Krippenfiguren - und zeigt sie zurzeit im Museum für Alltagskultur in Waldenbuch. Nur für StZ-Leser führt er am Sonntag, 28. Dezember, durch die Ausstellung.

Waldenbuch - Im Museum der Alltagskultur in Waldenbuch sind jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit Krippen aus aller Welt zu sehen – in diesem Jahr stammen die Stücke aus Tirol, Neapel und der Provence und sind bis zum 1. Februar zu begutachten. Die provenzalischen Figuren, „Santons“ genannt, gehören allesamt dem Dialektautor und StZ-Kolumnisten Gerhard Raff. Im folgenden Text erzählt er, warum er vor 50 Jahren damit angefangen hat, die Figuren zu sammeln. Am Sonntag, 28. Dezember, lädt Gerhard Raff zudem die StZ-Leser zu Führungen ins Waldenbucher Museum ein. Um 11 Uhr, 13 Uhr und 15 Uhr wird Raff ebenso kundig wie unterhaltend seine Santons vorstellen. Interessierte kommen einfach ins Museum – nach Möglichkeit sollten aber nicht alle zur ersten Führung erscheinen, damit ein Gedränge vermieden wird. Die Führung ist kostenlos, der Eintritt in Höhe von drei Euro muss aber bezahlt werden. Das Museum im Schloss Waldenbuch liegt unübersehbar in der Altstadt an der Kirchgasse 3.

 

Der glücklicherweise schon in Friedenszeiten geborene Verfasser wohnte am denkwürdigen 9. September 1962 jener historisch gewordenen Ludwigsburger Rede des Generals Charles de Gaulle, des französischen Staatspräsidenten mit württembergischem Migrationshintergrund, bei. Er war zutiefst gerührt und derart bewegt, dass er an jenem Tag spontan beschloss, im nachfolgenden Sommer mit seinem Schulnebensitzer selbst und sechzehnjährig per Bicyclette und unter Anleitung des Guide Michelin in das Land des vormaligen „Erbfeinds“ zu fahren. Und zwar in die auch von Ludwig Uhland besungenen „Tale der Provence“, in Vincent van Goghs und Paul Cézannes „Land des Lichts“, in die „Provincia Gallia Narbonensis“ mit all ihren römischen Tempeln, Theatern und Triumphbögen.

Mit Zeitungaustragen die Reisekasse aufgefüllt

Bei der Vorbereitung dieser aus heutiger Sicht doch riskanten Radfahrt auf Bundes- und Nationalstraßen las er im Merianheft „Provence“ den Beitrag zur Geschichte der provenzalischen Krippenfiguren, der „Santons“, und entdeckte dann bei der Kirche Saint Trophîme in Arles, wo am 30. Juli 1178 unser schwäbischer Landsmann, der Stauferkaiser Friedrich I. Barbarossa, zum König von Burgund gekrönt worden war, im Andenkengeschäft „Le cloître – Souvenirs de Provence – Cadeaux – Gay & Cie“ diese so liebevoll in Handarbeit hergestellten, mit feinsten Pinselchen bemalten folkloristischen Figürchen aus Terrakotta. Dank einer durch frühmorgendliches Zeitungsaustragen gefüllten Reisekasse konnte er dort die ersten, der auf Grund ihrer lohnintensiven und arbeitsaufwendigen Individualproduktion nicht ganz günstigen Exemplare, darunter Maria, Josef und das Jesuskind, Ochs und Esel und Engel erwerben und in der Satteltasche dann auch heil nach Hause bringen.

Bei weiteren Reisen, per Moped Marke NSU-Quickly, per Anhalter (drei Tage vor dem schriftlichen Abitur verzwatzelte er schier an der Route Nationale No. 7 Marseille-Lyon), per Eisenbahn SNCF und im legendären (aber schnell rostenden, daher preisgünstigen und nur 6,9 Liter Normalbenzin verbrauchenden) „rollenden Sofa“ namens Citroën DS 23, kamen im Laufe der Jahrzehnte die ganzen „Sujets bibliques“ und auch die „Sujets provençaux“, all die anderen Figürle hinzu, die sich die provenzalische Volksseele zusätzlich zu der beim Evangelisten Lukas überlieferten Weihnachtsgeschichte hat einfallen lassen. Dazu zählen die ganzen Handwerksleute, vom Korbmacher über den Kaminfeger bis zum Küfermeister, die Marktbesucher und die Marktbeschicker, von der Blumenfrau über die Schneckenverkäuferin bis zur Zitronenhändlerin, die „schönen Arlesierinnen“ und die „Gardians“, die „Cowboys“ der Camargue auf ihren weißen Pferden und mit ihren schwarzen Stieren, die Musikanten, Spielleute und Tänzerinnen und Tänzer der „Farandole“ – eine Art provenzalischer Sirtaki – und die Trachtengruppen aus ganz Frankreich, von der Normandie über die Bretagne und Touraine bis hin zu den Katalanen und den dem Schwabenstamme zugehörigen Elsässern.

Inzwischen sind es genau 444 Figuren

Mittlerweile sind genau 444 „Weib-, Männ- und Tierlein“ zu einer drei Biertische benötigenden Krippe zusammengekommen. Umrahmt sind diese zauberhaften Santons aus der Manufaktur des „Maître Santonnier“ und „meilleur ouvrier de France“ Marcel Carbonel (1911-2003) aus Marseille, „die kleinen Heiligen“ der Provence, mit viel heimischem und provenzalischem Grünzeug. Darunter sind Lavendelbüschlein vom Grab des Literaturnobelpreisträgers Albert Camus in Lourmarin. Verschönert werden die Figuren durch von beglückten Besuchern mitgebrachtem Sand aus dem Heiligen Land und Gestein aus Bethlehem und Jerusalem, aus Marseille, aus Les Beaux, aus Grecchio im geografischen Herzen Italiens, wo an Weihnachten 1223 der heilige Franziskus seine Krippe mit lebenden Tieren und Menschen dargestellt hat. Aber auch von hier, von „dr Schwäbischen Alb ra“, von der supergscheiten zweifachen Universitätsgründerin, der trotzdem fast vergessenen Pfälzer Mechthild ihrer abgegangenen Kartause Güterstein bei Urach.

Im Sinne der deutsch-französischen Freundschaft

Und der Verkündigungsengel steht auf einem Pflasterstein aus Fiorentino in Apulien, wo Barbarossas Enkel, „der größte unter den Fürsten der Erde“, der Stauferkaiser Friedrich II., verstorben ist. Dieser Stein ist beim Aushub für das Fundament der ersten Stauferstele, errichtet zu dessen 750. Todestag am 13. Dezember 2000, ans Tageslicht gekommen. Und der Stall von Bethlehem steht auf dem Hinterrohrbacher Vesperbrettle von Thaddäus Troll seligen Angedenkens. Diese „Crèche Provençale“ hat in den letzten Jahren Hunderttausende von Krippenfreunden angezogen und begeistert, unter anderem im damaligen Landeskirchlichen Museum in Ludwigsburg, im Museum für Brotkultur in Ulm, bei Kardinal Friedrich Wetters Landshuter Krippenweg, ja sogar schon im renommierten Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe und in der deshalb so rammelvollen Klosterkirche in Lorch.

Dieses Jahr wird sie – bis zum 1. Februar – im Museum der Alltagskultur des Landesmuseums Württemberg in Schloss Waldenbuch gezeigt. Anfragen aus Bayern, Berlin, Hessen, Köln und „halb Württemberg“ für nächstes Jahr liegen bereits vor.

Erlös aus dem Verkauf wandert in die Kirchensanierung

Unter uns, die allermeisten Santons hat der Verfasser in Montbéliard in der ökumenischen Buchhandlung Siloë erworben, die hat er bei der Einweihung der Pyramide zur Erinnerung an die 600 Jahre alte Verbindung Württembergs mit der Grafschaft Mömpelgard anno 1997 entdeckt. Seither hat er sogar einen (provisionsfreien!) Handel aufgemacht, zu seiner umfangreichen Kundschaft zählen Hochschuldekane und Omnibusfahrer. Die 15 Prozent Mengenrabatt, die er freundlicherweise erhält, wandern automatisch in die Renovierung der direkt vor dem Buchladen gelegenen, von seinem im Dreißigjährigen Krieg „von Soldaten gestochenen“ Zehnmalurgroßvater Heinrich Schickhardt (1558-1635) erbauten Kirche Saint Martin. Haben die guten Mömpelgarder doch bald nach dem Krieg die Hände der Versöhnung über den Rhein gestreckt und anno Domini 1950 die allererste französisch-deutsche Städtepartnerschaft, die Jumelage mit Ludwigsburg, geschlossen.

Wie sagte doch Monsieur le Président Charles de Gaulle immer so schön: „Äääs läbööö diiee doooiiitsch-fraaansööösiischeee Froooiindschaaaft!“