Die Ingenieure von Rolls-Royce haben schon viele ungewöhnliche Aufträge von ihren Kunden bekommen. Mit viel Holz und Leder erhalten die Luxuslimousinen eine persönliche Note. Ein Besuch beim legendären Autobauer in Goodwood.

Stuttgart - In dieser Bilderbuchlandschaft würde man keine Autofabrik vermuten. Kurvige Sträßchen führen in der britischen Grafschaft West Sussex durch schattige Wäldchen und vorbei an sattgrünen Wiesen mit Schafherden. Durch ein schmales Tor gelangen Besucher auf das Gelände von Rolls-Royce in Goodwood. Die Nobelmarke, deren wuchtige Wagen mit dem pompösen Kühler rund um den Globus alle Blicke anziehen, scheint sich hier fast verstecken zu wollen. Das von dem Architekten Nicholas Grimshaw entworfene Werk liegt in einer künstlich angelegten Senke, das ganze Dach ist begrünt. Aus der Ferne ist die ungewöhnliche Fabrik kaum auszumachen. Vom Tor führt ein Weg vorbei an einem Teich mit Seerosen, Schilf und gelben Wasserschwertlilien. Junge Linden stehen im Hof vor der Verwaltungszentrale von Rolls-Royce, die sich im linken Flügel des Gebäudes befindet; im mittleren und im rechten Flügel läuft die Produktion.

 

Goodwood ist Teil der ausgedehnten Ländereien des Earl of March. Der Adlige ist nicht nur Biobauer, sondern hat auch ein Faible für starke Wagen. Er veranstaltet in seinem Park alljährlich das Motorsportspektakel „Goodwood Festival of Speed“ und vermietete BMW einen Teil seines Geländes, als die Bayern Ende der neunziger Jahre den Neustart der traditionsreichen Automarke Rolls-Royce vorbereiteten. In einem spektakulären Bieterkampf mit VW schienen die Bayern 1998 schon unterlegen zu sein. Die Aktionäre des Mutterkonzerns Vickers stimmten damals im Juni auf einer turbulenten Hauptversammlung für den Verkauf der Firma Rolls-Royce Motor Cars mitsamt der Schwestermarke Bentley und der Fabrik in Crewe an den Wolfsburger Konzern. Doch nur einen Monat später gab es eine überraschende Wendung: BMW erwarb vom Triebwerkhersteller Rolls-Royce das Recht, nach einer Übergangszeit den Namen der gleichnamigen Nobelmarke zu nutzen. VW musste sich ab 2003 mit der Schwestermarke Bentley und dem alten Werk des Autobauers in Crewe bescheiden.

In Goodwood wird der zehnte Geburtstag gefeiert

Die Marke Rolls-Royce startete mit neuer Mannschaft in dem neuen Werk in Goodwood. Bereits 30 Sekunden nach dem Beginn des Jahres 2003 nahm der erste Kunde seinen Phantom in Empfang, berichtet Jane Gale, die Besucher durch die Fabrik führt. Der auberginefarbene Erstling mit der legendären Kühlerfigur „Spirit of Ecstasy“ steht derzeit neben einem weißen offenen Rolls-Royce Silver Ghost aus dem Jahr 1914 im Foyer der Manufaktur. Der australische Eigentümer hat seinen Phantom als Leihgabe zur Verfügung gestellt, weil der zehnte Geburtstag von Goodwood gefeiert wird.

Die Autos aus der neuen Fabrik sind in den vergangenen Jahren immer besser bei den Superreichen dieser Welt angekommen, insbesondere nachdem 2009 der Ghost als zweites Modell nach dem Phantom auf den Markt gekommen ist. Rolls-Royce ist Weltmarktführer im Preissegment über 200 000 Euro und fährt im Gegensatz zum Maybach, der im vergangenen Jahr wegen chronischen Misserfolgs eingestellt wurde, von Rekord zu Rekord. Im vergangenen Jahr wurden 3575 Nobelkarossen an Kunden übergeben. Die Belegschaft wurde seit dem Neustart vor zehn Jahren von 300 auf rund 1200 Mitarbeiter aufgestockt. Mit dem neuen Modell Wraith, von dem derzeit Vorserien-Exemplare produziert werden, kommen weitere Arbeitsplätze hinzu.

Für Sonderwünsche gibt es in Goodwood fast keine Grenzen

Die Produktion beginnt in Goodwood mit der Lackierung der Karosserie, die aus dem BMW-Werk Dingolfing angeliefert wird. Roboter tragen in der britischen Fabrik den Lack auf. Es sind mehrere Farbschichten, die anschließend immer wieder von Hand poliert werden. Insgesamt 16 Standardfarben stehen für den Phantom und zwölf für den Ghost zur Verfügung, doch für Sonderwünsche gebe es fast keine Grenzen, meint Jane Gale und erzählt von „Desert Gold“ (Wüstengold), bei dem jedem Liter Lack 19 Gramm Goldpulver beigemischt wurde. In einem kleinen Schaukasten ist ein rosa Lippenstift ausgestellt, den eine Dame aus der Pariser Modebranche nach Goodwood schickte. „Rolls-Royce scannte den Lippenstift von Chanel und mischte danach die Farbe“, berichtet die Führerin und fügt noch die Story von der Lady an, die ihren Wagen wunschgemäß in einer Farbe erhielt, die zum Hundefell ihres Red Setters passte.

Sechs Tage dauert die aufwendige Lackierprozedur, bevor die Montage beginnt. Fließbänder gibt es in Goodwood ebenso wenig wie knappe Taktvorgaben. Die Karossen werden von Arbeitsstation zu Arbeitsstation geschoben. Etwa eine Stunde umfasst das Arbeitspaket eines Teams beim Modell Ghost, etwa zwei Stunden beim teureren Phantom. Schritt für Schritt bauen die schwarz gekleideten Beschäftigten dicke Kabelbündel ein, Lautsprecher, das Armaturenbrett, die Scheiben, werden der Zwölfzylindermotor, der aus dem BMW-Werk München kommt, das Getriebe und das Fahrwerk mit der Karosserie verbunden. Es ist hier ungewöhnlich leise für eine Autofabrik, und fast überall gibt es Tageslicht. Das schaffen stählerne „Bäume“, deren himmelwärts gestreckte Äste große runde Oberlichter tragen, und eine Glasfront, die den Blick ins Grüne frei gibt.

Schwarzer Lack und weinrote Ledersitze bei Chinesen beliebt

Viele Wagen sind schwarz, haben schwarze Vorhänge an den hinteren Seitenscheiben und sind mit einem bordeauxroten Leder ausgestattet, das „Consort Red“ heißt. Dies ist die Lieblingsausstattung der Chinesen. An vielen Kotflügeln sind auch Zettel mit der Aufschrift „Bespoke“ – ein Hinweis darauf, dass dieser Wagen maßgeschneidert ist. Dafür ist unter anderem die Holz- und die Lederabteilung zuständig. Leder von elf Rindern wird für einen Wagen verarbeitet und gegen Aufpreis individuell verziert, beispielsweise mit dem Familienwappen oder dem Lieblingsfalken eines Scheichs. Es dauert lange, bis die vielfältigen Hölzer unter Hitze geformt, lackiert und zusätzlich individuell mit Einlagen etwa aus Perlmutt oder einem Mosaik geschmückt sind.

Die Ingenieure von Rolls-Royce haben schon viele ungewöhnliche Wünsche der wohlhabenden Kundschaft befriedigt. Ein chinesischer Geschäftsmann wollte stets feuchtwarme Reinigungstücher zur Hand haben. In andere Wagen wurden Safes für den Schmuck eingebaut und Humidore, die den Monatsbedarf von Zigarren fassen. Zu den aktuellen Spezialanfragen zählt eine „Champagne Capsule“ – eine edle Kühlbox für Champagner samt Gläsern, passgenau maßgeschneidert für das Cabrio und die Motoryacht des Kunden.