Für die erste Fernfahrt der Welt von Bertha Benz und ihren Söhnen nach Pforzheim gibt es eigentlich keine zeitgenössischen Belege.  

Stuttgart - Es war im Sommer 1888. "Die Schulen hatten die Tore geschlossen, und der Glanz der Feriensonne vergoldetet die Welt" als eines Morgens in der Mannheimer Werkstatt von Carl Benz drei "fahrende Scholaren" - die Söhne Eugen (15), Richard (13) und Mutter Bertha - um fünf Uhr früh in aller Heimlichkeit des Vaters Automobil bestiegen, um nach Pforzheim zu fahren.

 

"Bergauf und bergab sollte der entführte Wagen zeigen, was er konnte und nicht konnte, auf einer Strecke von 180 Kilometern", so erinnerte sich Carl Benz viele Jahrzehnte später, als er für das Buch "Lebensfahrt eines deutschen Erfinders" seine "Erinnerungen eines Achtzigjährigen" zu Protokoll gab.

Um ihn in Sicherheit zu wiegen, habe die Mutter bei der Bestellung des Haushalts so getan, "wie wenn sie anderntags mit dem ersten Zuge hätte eine mehrtägige Reise antreten wollen", ist da zu lesen: "Die List glückte. Der ahnungslose Vater schlief noch als die drei in höchster Glorie davonknatterten."

Erste Fernfahrt der Welt von der Kurpfalt nach Pforzheim

Inzwischen ist der Ausflug von der Kurpfalz nach Pforzheim zur Verwandtschaft von Bertha Benz als "erste Fernfahrt der Welt" in die Automobilgeschichte eingegangen und hat der Ehefrau des Erfinders den Ruf der ersten Frau am Steuer eines Autos eingebracht. Es gibt hübsche Geschichten von Schustern und Schmieden, die entlang der Strecke von Weinheim über Heidelberg, Wiesloch, Bruchsal, Bretten, Bauschlott, Wilferdingen und Pforzheim-Brötzingen Bremsen und Ketten reparierten oder von Leuten, die dem Trio den rechten Weg gewiesen haben.

Längst gibt es regelmäßige Oldtimer-Gedächtnisfahrten auf der Strecke und seit 2008 ist sogar eine Bertha-Benz-Memorial-Route ausgeschildert. Doch es gibt, allen Bemühungen der Automobilforscher zum Trotz, bis heute keinen einzigen historischen Beleg von damals für das Unternehmen, das Carl Benz anno 1936 ironisch eine "neumodische Ferienreise", nannte.

Es existieren keine historischen Belege für die Fahrt

"Es gibt keine alten Zeitungsberichte, keine zeitgenössischen Schilderungen", erklärt Kurt Möser, Historiker am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der sich in seiner Habilitationsschrift ausführlich mit der Geschichte der Mobilität zwischen 1880 und 1930 beschäftigt hat.

"Viele der frühen Fahrten von Benz oder seinen Mitarbeitern in Mannheim und der Umgebung sind dokumentiert und fotografiert worden; nur diese nicht", stellt Möser fest. "Alles, was wir haben, ist eine schöne Geschichte eines älteren Mannes, aufgeschrieben von jemandem, den wir heute Ghostwriter nennen würden - gerade vier Seiten in einem ganzen Buch."

In der Tat finden sich weder im Stadtarchiv von Wiesloch, wo die drei ihren ersten Tankstopp eingelegt haben, noch im Konzernarchiv von Mercedes-Benz in Stuttgart Belege für die Fahrt, ihr genaues Datum oder ihren Verlauf. "Wir haben keine Zeitungsartikel von damals", erklärt Benz-Archivar Wolfgang Rabus.

Auch ihn wundere, "dass es so wenig Authentisches gibt", gesteht er. Doch Zweifel, dass die Fahrt stattgefunden hat, hegt er deshalb nicht; "Meine Meinung ist, dass sie schon stattgefunden hat - und es kann ja sein, dass immer noch etwas auftaucht", meint er.

Einzige Quelle sind Erinnerungen von Carl Benz

Bis dahin bleiben die Erinnerungen des 80-jährigen Carl Benz in seiner 1936 erschienenen "Lebensfahrt" sowie die gleichfalls erst Jahrzehnte nach dem Ereignis aufgezeichneten Schilderungen von Eugen Benz, die einzigen Quellen. Er hatte 1956 mit damals 83 Jahren in einem Interview dem früheren Mercedes-Archiv-Chef Friedrich Schildberger Rede und Antwort gestanden.

Demnach fand die Reise "eines schönen Tages im August 1888" statt: "Am Steuer saß Eugen, daneben die Mutter, auf dem Notsitz, ihr gegenüber Richard, der sich wiederholt mit Eugen im Fahren abwechselte", schreibt Schildberger in seinem Buch "Gottlieb Daimler und Karl Benz - Pioniere der Automobilindustrie".

In einem Nebensatz verweist Eugen Benz im Gespräch mit dem Autor alle emanzipatorischen Vorstellungen von "der Frau am Steuer des ersten Automobils" ins Reich der Legende. Wenn es bergauf ging, habe der jüngere Bruder gesteuert, er und die Mutter als die stärkeren "haben darum schieben dürfen; (...) unsere Mutter konnte ja gar nicht fahren", verrät Eugen.

Benzin auf Vorrat gekauft

Auch mit einer weiteren Legende räumt Benz junior auf. In Wiesloch sei ihnen nicht etwa das Benzin ausgegangen, man habe vielmehr auf Vorrat gekauft: "Es hat ja damals noch keine Tankstelle gegeben und es war überhaupt eine Seltenheit, wenn man Benzin bekommen hat."

Weder konnte sich Eugen an jeden einzelnen Ort erinnern, durch den man gekommen war, noch erwähnte er Namen von Schmieden und Schuhmachern, die die strapazierten Ketten nachspannen oder, "wie zum Beispiel in Bauschlott", die Bremsklötze mit neuem Leder versehen mussten. Stattdessen gestand er, man habe - "ich war ja noch ein junger Mensch" - auch Fehler gemacht.

Dass man gleich am Anfang über Weinheim gefahren sei, statt Heidelberg direkt anzusteuern, "hätte nicht sein brauchen", meinte er im Nachhinein. Dass er sich bei der Wahl der Strecke an die Eisenbahn gehalten habe, sei "nochmals ungeschickt gewesen, weil wir ja da den Bergen entlangfuhren". So habe man einige "böse Erfahrungen gemacht" - aufwärts beim Schieben und abwärts mit den Bremsen. "Aber wir haben es geschafft."

Auch am letzten Anstieg vor Pforzheim mussten Mutter und Sohn schieben. Als die drei ankamen, war es längst dunkel. "Wir hätten Licht gebraucht, aber wir sind ohne gefahren, wir haben keine Laterne gehabt", erinnerte sich Eugen.