Exklusiv Der baden-württembergische Handwerkstag (BWHT) ist mit der Wirtschaftspolitik des Landes nicht zufrieden. Als Folge der Enttäuschung versagt der BWHT-Präsident Joachim Möhrle dem Kultusminister Andreas Stoch (SPD) die öffentliche Unterstützung für die neue Gemeinschaftsschule.

Stuttgart - Klappern gehört zum Handwerk,das weiß der Kultusminister Andreas Stoch (SPD) sehr genau. Er schmückt sich gerne mit Kronzeugen aus der Praxis, die die Wirksamkeit der grün-roten Bildungsreformen loben. Jetzt hat Andreas Stoch (SPD) in Joachim Möhrle jedoch seinen Meister gefunden. Möhrle, der Präsident des baden-württembergischen Handwerkstags (BWHT) hätte am kommenden Montag an der Seite des Ministers die Vorzüge der neuen Gemeinschaftsschule preisen sollen. Nun hat er aber seine Teilnahme an der gemeinsamen Pressekonferenz abgesagt.

 

Möhrle möchte derzeit einfach nicht mit Sozialdemokraten gesehen werden. Das liegt allerdings nicht an deren Bildungs- sondern an deren Wirtschaftspolitik. Der Stein des Anstoßes ist das Gemeindewirtschaftsrecht. Die Regierung plant eine Änderung, die kommunalen Einrichtungen neue handwerkliche Betätigungsfelder erschließt. Zum Beispiel könnten städtische Wohnungsbaugesellschaften Gebäudereinigungsarbeiten für Private übernehmen, oder Meldeämter Passfotos anfertigen, befürchtet der BWHT, das gehe zu Lasten der Privatwirtschaft und habe mit Mittelstandsförderung nichts zu tun.

Schwer enttäuscht von der Landesregierung

Im Gegenteil, der Handwerkspräsident Möhrle sieht in der geplanten Änderungen einen „erheblichen Angriff auf die Mittelstandspolitik“. Erst vor wenigen Tagen habe sich der BWHT bei Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) eine Abfuhr eingehandelt, sagte Möhrle der Stuttgarter Zeitung. Bei Innenminister Reinhold Gall (ebenfalls SPD), der den Gesetzentwurf zur Änderung der Gemeindeordnung federführend betreut, stoße man ebenfalls auf taube Ohren. Folglich ist das baden-württembergische Handwerk nun schwer enttäuscht von der grün-roten Landesregierung – von der Sozialdemokratie sogar noch mehr als von den Grünen. Die Grünen wollen Möhrle zufolge die Änderung der Gemeindeordnung auf den Umweltbereich beschränken. Das könnte der BWHT als Kompromiss gerade so hinnehmen. Doch sieht Möhrle derzeit keine Anzeichen, dass die SPD auf den Vorschlag einschwenken könnte.

Deshalb muss nun der sozialdemokratische Kultusminister auf die gewichtige Schützenhilfe des Handwerks für die Gemeinschaftsschule verzichten. Das ist für Stoch durchaus schmerzlich. Möhrle hat sich stets für die neue Schulform eingesetzt, die auch in Handwerkerkreisen zum Teil auf Vorbehalte gestoßen ist. Doch jetzt erklärt der Handwerkspräsident dem Kultusminister, „ich kann nicht ein Regierungsvorhaben loben, wenn wir uns über ein anderes, das mindestens ebenso wichtig ist, ärgern“. Angesichts der Enttäuschung über die Erleichterung der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen erscheint es Möhrle nun „nicht opportun, im gleichen Zeitraum die Landesregierung öffentlichkeitswirksam zu unterstützen“.

Ob die Absage den Handwerkstag politisch weiter bringt, ist offen. Die Schulpolitik liege dem BWHT schon sehr am Herzen sagt Möhrle, doch jetzt müsse er „ein Zeichen setzen“. Nun will er erst mit der Grünen-Fraktionsvorsitzenden Edith Sitzmann und Claus Schmiedel, dem Chef der Landtags-SPD Gespräche zum Gemeindewirtschaftsrecht führen. „Ich gebe noch nicht auf“, sagt der Handwerkspräsident.

Trotz aller Verärgerung steht der Präsident zur Gemeinschaftsschule. Das lässt er auch den Kultusminister wissen. „Wir sind ein großer Befürworter dieses neuen Lernkonzepts“, sagt Möhrle. Dennoch verlangt die Organisation Nachjustierungen. Bei der Einrichtung neuer Gemeinschaftsschulen sollte die Regierung lieber einen Gang zurückschalten. Auch sollten andere Schularten, besonders die Realschule gleichrangig behandelt werden.

Andererseits hofft der BWHT nach wie vor, dass sich durch den Unterricht an Gemeinschaftsschulen die Ausbildungsreife der Schüler verbessert und mehr Zeit für die Berufsorientierung bleibt. Das aber mag der Präsident derzeit partout nicht öffentlich an der Seite des Ministers sagen.

Gemeindewirtschaftsrecht

Das Handwerk befürchtet, dass kommunale Dienstleister nach der bevorstehenden Änderung des Gemeindewirtschaftsrechts mit den privaten Betrieben in einen ungleichen Wettbewerb eintreten könnten, in dem Private nicht konkurrenzfähig wären. Das Innenministerium erwartet aber, dass nur wenige Kommunen von den neuen Möglichkeiten Gebrauch machen. Die Auswirkungen auf private Betriebe seien eher gering einzuschätzen. Bisher dürfen kommunale Betriebe nur dann in bestimmten Bereichen tätig werden, wenn sie die Leistung besser und wirtschaftlicher als Private erbringen können. Dieser Vorrang für Private gilt erst seit dem Jahr 2006.

Gemeinschaftsschule

Der baden-württembergische Handwerkstag hat schon im Jahr 2002 ein Konzept zum längeren gemeinsamen Lernen vorgelegt – zehn Jahre bevor die ersten Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg entstanden. Das bildungspolitische Papier war auch innerhalb der Handwerksorganisation stark umstritten.