Seine Arbeiten kommen nicht ohne Sex und Tabubruch aus. Aber der freche Comicautor Ralf König provoziert nicht nur, er lässt sich auch von der Kulturgeschichte inspirieren. Die StZ-Autorin Adrienne Braun hat ihn in Stuttgart getroffen.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Was soll sie bloß bestellen? Weißwein? Er nimmt ein Bier. Ach, nölt sie, allein will sie keinen Wein trinken. Die Bedienung stöhnt – und man ahnt schon, dass sich diese Dame mit den knallroten Lippen auch lang zieren wird, bevor sie tut, was sie eigentlich will: mit diesem verdammt gut gebauten Bauern ins Bett steigen. „Aber das kann ich doch nicht machen“, sagt sie – und tut es doch.

 

Eigentlich sind die Lippen der Dame gar nicht rot. Schließlich ist Ralf Königs Comic „Hempels Sofa“ in Schwarz-Weiß gezeichnet. Trotzdem hat man die kunterbunte Welt der neurotischen Psychotherapeutin Silke Hempel sofort vor Augen, ihr hysterisches Getue und die psychischen Abgründe. Man kann sich auch plastisch vorstellen, wie dieser kräftige Bauer mit breitem Fränkisch in Berlin mal einen draufmachen will. Oder wie Hempels Sohn die Nächte am PC mit Killerspielen verbringt – Titel: „Schlachtfest am Elternsprechtag“.

Ralf König kennt die Menschen, ob sie triebgesteuert oder verklemmt, gockelhaft oder machomäßig unterwegs sind. Die Marotten und alltäglichen Neurosen sind es, die ihn zu einem der interessantesten und erfolgreichsten Comiczeichner der Republik gemacht haben. Lange bevor von „Graphic Novel“ gesprochen wurde, hat König bereits solche gezeichnet – ausführliche Geschichten in Comicform mit durchgängigen Charakteren.

Potente Riesenkerle mit prallen Muckis

Ralf König ist ein Menschenkenner mit psychologischem Feinsinn – „aber ich sitze nicht im Café und beobachte die Leute“, sagt er. „Ich werde 54, da hat man einiges im Koffer“. So schöpft er aus seiner Erinnerung und einem Fundus an Erlebnissen. „Dass mir mal die Ideen ausgehen könnten, habe ich keine Sorge.“

Die Liste der Bücher von Ralf König ist inzwischen sehr lang, darunter sind Titel wie „Bullenklöten!“, „Wie die Karnickel“ oder „Trojanische Hengste“. Das klingt anzüglich, und tatsächlich drehen sich die meisten seiner Comics immer auch um Sex. In keiner Geschichte fehlen sie: potente Riesenkerle mit prallen Muckis, wucherndem Brusthaar, und, natürlich, einem enormen Gemächt im Höschen. Es ist der Prototyp des schwulen Ideals. In „Dschinn Dschinn“ ist auf den Punkt gebracht, wie der Adonis ausschauen soll: „Sei schön! Sei groß und strotz vor Kraft! Sei wohl geformt, steh voll im Saft!“

„Paulus war eine ziemliche Spaßbremse“

Aber Ralf König ist auch literarisch beschlagen und spickt seine Comics mit Anspielungen auf Kunst- und Kulturgeschichte. Er hat die „Lysistrata“ nach Aristophanes neu erzählt und sich mit Shakespeares Figur des „Jago“ befasst. Sein jüngstes Projekt ist ein Science-Fiction-Comic. Aber auch für die konservative Presse hat Ralf König gearbeitet und in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ einen Comic über die Schöpfung veröffentlicht – „ohne zu ahnen, dass die Bude rappelt“. Es habe Proteste und wütende Abbestellungen gegeben.

Immer wieder hat König sich mit der Bibel beschäftigt, sei dabei aber „nicht auf Blasphemie aus“, wie er sagt, sondern er will sich mit den Dingen auseinandersetzen. „Die Paulusbriefe habe ich hoch und runter gelesen, denn ich wollte wissen, was der Mann gedacht hat“, sagt König. „Paulus war eine ziemliche Spaßbremse“, meint er, „das meiste, was in der katholischen Kirche problematisch ist, kam von ihm.“

König ist schließlich selbst schwul

Was ist es aber, das einen wie ihn immer wieder zu biblischen Themen treibt? Ralf König wuchs im westfälischen Westönnen auf, die Kirche spielte in seinem Elternhaus keine besondere Rolle. Dass er sich dennoch mit ihr auseinandergesetzt hat, „das kam durchs Schwulsein“, sagt König. Ihn hat die Behauptung geärgert, dass Gott Homosexualität nicht wolle. König ist schließlich selbst schwul.

Dass unsere Gesellschaft heute nicht mehr ganz so verkrampft mit Homosexualität umgeht, liegt auch an den Comics von Ralf König. In den achtziger Jahren hatte König schnell Erfolg, weil er der Erste war, der schwule Comics zeichnete, in denen Schwule aber nicht auf den „doofen Detlev“ reduziert wurden. „Ich war der richtige Mann zur richtigen Zeit“, erzählt König, „meine Bücher lagen auf dem WG-Klo.“ Heute hängen sie in Museen.

Es war „Der bewegte Mann“, der Ralf König zum Durchbruch verhalf, weil das Buch verfilmt wurde, mit Til Schweiger und Katja Riemann in den Hauptrollen. 6,5 Millionen Zuschauer sahen den Film, der König selbst allerdings nicht gefiel. „Dem Film verdanke ich viel“, erklärt er, „aber als Autor hat man einen anderen Ton im Ohr“. Vor allem hat er damals gutgläubig die Verträge unterschrieben. „Ich kann meine Sachen überhaupt nicht verkaufen“, sagt König, weshalb er inzwischen einen Agenten engagiert hat. „Ich brauche einen, der ein bisschen die Zähne fletscht.“

„Ich bin ein chaotischer Mensch“

Im Nachhinein betrachtet, war Ralf König in doppelter Hinsicht Vorkämpfer: bei der „Graphic Novel“ und der schwulen Sache. Wenn es um das Handwerk geht, ist er dagegen konservativ. Während die meisten seiner Kollegen nur noch am Computer arbeiten, zeichnet er bis heute immer mit der Hand. „Ich bin Zeichner geworden wegen des sinnlichen Erlebnisses mit Papier, Stift und Uhu“, sagt König. Auch wenn er „einer der letzten Mohikaner“ sei – er bleibt dabei. Allerdings arbeitet er inzwischen mit lichtechten Stiften – denn auf den Originalen der frühen Comics wie „Der bewegte Mann“ und „Lysistrata“ sind die Motive fast verblichen. „Ich hatte einfach irgendeinen Stift genommen, das ist schade.“ Er überlegt auch, seine Originale als Schenkung an ein Museum zu geben, damit sie dort besser gepflegt werden als bei ihm. „Denn ich bin ein chaotischer Mensch.“

Aber er ist eben auch ein wunderbar witziger und fantasievoller Mensch. So lässt König im „Dschinn Dschinn“ den Wunsch nach einem kräftigen Burschen auf besondere Weise wahr werden. Aus einer magischen Teekanne entsteigt ein sehr potenter Geist, „von Kopf bis Fuß stark behaart, mit kratzigem 3-Tage-Bart“.