Eine 16-jährige Jugendliche und ihr zwölf Jahre alter Bruder sind im Dezember ins Flugzeug gesetzt und nach Albanien abgeschoben worden. Das Böblinger Jugendamt ist verärgert. Die Grünen im Landtag sind empört

Leonberg - Am Morgen um 6 Uhr klingeln die Polizisten. Die Kinder und Jugendlichen in der Wohngruppe in Leonberg schlafen noch. Es ist ein Montagmorgen kurz vor Weihnachten, als zwei Geschwister, ein 16-jähriges Mädchen und ihr zwölf Jahre alter Bruder, aus ihren Betten geholt und in ein Flugzeug nach Albanien gesetzt werden. Sozialarbeiter, Mitarbeiter des Jugendamts und Politiker reiben sich die Augen. Sie fragen sich empört: Was soll das, eine Abschiebung zweier Jugendlicher?

 

„Bei uns herrscht eine niederschmetternde Stimmung“, erzählt Michael Weinmann von der Jugendhilfe-Einrichtung Waldhaus, in deren Wohngruppe in Leonberg die Geschwister gelebt haben. Ein Sprecher des Innenministers Thomas Strobel (CDU) bestätigt die Abschiebung auf Nachfrage unserer Zeitung. „Alle gesetzlichen Anforderungen für die Rückführung unbegleiteter minderjähriger Ausländer wurden eingehalten“, betont er. Das heißt konkret: Die albanische Agentur für die Rechte und den Schutz von Kindern habe zugesichert, dass die beiden Jugendlichen am Flughafen in Tirana von einem Kinderschutzbeauftragten in Empfang genommen und in eine Notfallaufnahme gebracht würden.

Das Jugendamt äußert sich ungewöhnlich kritisch

Schon im November 2019 habe man dem Vormund der Jugendlichen, dem Landratsamt in Böblingen, mitgeteilt, dass die beiden ausreisen müssten. Beim Jugendamt des Landratsamts ist man trotzdem irritiert. Als die Polizisten am Morgen um 6 Uhr vor der Tür standen, habe die Jugendamts-Mitarbeiterin noch per Eilantrag versucht, die Abschiebung zu verhindern. „Das war aufgrund der Kürze der Zeit nicht möglich“, sagt eine Sprecherin des Landratsamts. Schon im November 2019, als die Ausreise-Aufforderung eintraf, hatte das Jugendamt einen Anwalt beauftragt, dagegen vorzugehen. „Wir als Jugendamt sehen den Vorgang und die Abschiebung äußerst kritisch“, formuliert die Sprecherin für eine Behörde ungewöhnlich deutlich. Dass Jugendliche überhaupt aus einer Jugendhilfe-Einrichtung herausgerissen würden, sei ein „ungewöhnliches Prozedere“.

Das bestätigt Manfred Weidmann. Der Tübinger Anwalt für Asyl- und Flüchtlingsrecht gehört dem Vorstand des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg an. Zum konkreten Fall will er sich nicht äußern. „Generell sind Abschiebungen von Minderjährigen eine extreme Ausnahme“, sagt er. Er selbst habe in all den Jahren seiner Tätigkeit nur einen einzigen solchen Fall erlebt.

Die Geschwister gelten als bestens integriert

Aber warum hat es dann ausgerechnet diese beiden Jugendlichen getroffen? „Wir setzen bei jedem an, der ausreisepflichtig ist“, sagt der Sprecher des Innenministeriums. Klar ist, dass Abschiebungen ein schwieriges Geschäft seien. Oft gebe es Schwierigkeiten, weil Identitäten nicht geklärt seien oder Papiere fehlten. „Wir unternehmen große Anstrengungen abzuschieben“, sagt der Sprecher. „Und bei jedem, wo die Voraussetzungen gegeben sind, wird die Abschiebung vollzogen.“

2016 sind die Geschwister mit ihren Eltern von Albanien nach Deutschland gekommen. Seit zwei Jahren sind die Eltern abgetaucht, das Jugendamt hat die Geschwister in seine Obhut genommen und in den Leonberger Häusern des Waldhauses untergebracht. Kontakt zu den Eltern haben sie seitdem nicht mehr. „Sie haben sich aber bestens integriert“, berichtet Michael Weinmann vom Waldhaus.

Der Zwölfjährige ist bei den Pfadfindern und im Tischtennisverein aktiv. Die 16-Jährige war gerade dabei, ihren Hauptschulabschluss zu machen. „Ihr Wunsch war es, dann die Mittlere Reife zu machen“, sagt Weinmann. Im vergangenen Jahr war sie Sprecherin ihrer Schulklasse. Außerdem ist sie Mitglied der Tanzgruppe des Jugendcafés Siesta in Leonberg.

Wie geht es den beiden jetzt? „Unsere Mitarbeiterin hat Whatsapp-Kontakt mit ihnen“, berichtet die Sprecherin des Böblinger Jugendamts. Sie sind bei ihrem hochbetagten Großvater in Albanien untergebracht. Einer der Knackpunkte ist aber, dass vor allem der jüngere Bruder nur Deutsch und kein Albanisch spricht und sich daher kaum verständigen kann.

Landtags-Grüne wollen die Abschiebung untersuchen

In der Politik schlägt der Fall bereits Wellen. Bernd Murschel (Grüne), der Leonberger Landtagsabgeordnete, hat sich eingeschaltet. „Zwei Jugendliche kurz vor Weihnachten ins Flugzeug zu stecken ist zynisch und unmenschlich“, sagt er. Uli Sckerl, der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen im Landtag, kündigt an, dass man diese Abschiebung „in allen Einzelheiten aufarbeiten“ werde.