Besenwirt Jürgen Krug hat in seiner Feuerbacher Wirtschaft auf Zeit so manchen Kleinkünstler groß gemacht. Sein Geheimnis? Ein abgeschlossenes Maschinenbau- und Mathestudium, eine Leidenschaft für Karl Valentin und eigener Wein.

Stuttgart - Er nimmt ihn nicht ab, egal wie stickig es unter den Krautschwaden zugeht. Der rote Schal ist das Markenzeichen von Jürgen Krug. Inzwischen hat er fünf davon, gestrickt von weiblichen Stammgästen. So bewacht der Feuerbacher zur Besenzeit den Flur seiner Wirtschaft. Er dirigiert die Ankömmlinge zu den Plätzen. Er weist sie in die Regeln der Garderobe ein: „Immer die hinteren Bügel zuerst!“ Und wenn es ihm während des Programms zu laut wird, zischt er energisch vom Türrahmen aus.

 

Die Besenwirtschaft an der Wildensteinstraße ist ein Exot. Statt Ziehharmonika und Volkslied pflegt der Wirt Kabarett und Kleinkunst. „Der Krug“, wie er sich selber nennt, zählt alte Hasen im Showgeschäft zur Stammbesetzung, präsentiert aber auch Nachwuchstalente. Martin Schneider hat vor Jahren bei Schweinehals und einem Regent im Glas vom Wurzelchakra erzählt. Heute tritt er bei RTL auf – und Krug verpflegt in den Pausen den Kabarettnachwuchs im Nebenzimmer.

Der Besen als bajuwarische Gedenkstätte

Manchmal steht der Wirt auf der Bühne, mit dem Wrdlbrmpfd-Theater in einer seiner Lieblingsrollen von Karl Valentin, den er verehrt. „Ich kann fast das ganze Leben mit Valentin-Zitaten bestreiten“, sagt der gebürtige Unterfranke mit immer noch leicht rollendem R. Der Volkssänger sei „kein Krachlederner“, sagt er, „der nimmt das Genre auf die Schippe“. So sieht er sich auch, als einen, der immer ein wenig abseits steht und sich wundert: „Der Krug, der Träumer.“

Sein Besen ist eine bajuwarische Gedenkstätte: An den Wänden hängen Valentin-Porträts, gegen Zugluft soll auf der Fensterbank ein blau-weißer Dackel schützen. „Ein bisschen aus der Zeit gefallen“, beschreibt der Wirt sein Interieur. Die Vorhänge stammen noch aus den 70ern, als er hier als Student einzog. Anfang 1980 hat er seine Möbel rausgeräumt und schließlich in den ersten Stock verfrachtet, um darunter eine Kleinkunstbühne mit angeschlossener Besenwirtschaft zwecks Finanzierung zu eröffnen.

Vom Diplomgewerbelehrer zum Winzer

Der Weg dorthin war nicht vorgezeichnet. Krug wuchs auf dem Bauernhof des Großvaters auf. „Mein Vater hat sich aus dem Staub gemacht, als er gehört hat, dass ich komme.“ Er lernte Maschinenschlosser, baute auf der Ingenieurschule seinen „Ing. grad.“, machte die Hochschulreife nach und studierte dann Maschinenbau und Mathematik in Stuttgart. Nebenbei geriet der „Naivling vom Land“ in die Studentenrevolte hinein.

In nur zwei Semestern schaffte er das Vordiplom. „Dann hab ich es nicht mehr eilig gehabt.“ Er hörte Philosophie bei Max Bense. „Ich wollte wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Herausgefunden hab ich’s bis heute nicht.“ Stattdessen wurde er Diplomgewerbelehrer. Bis vor knapp sechs Jahren unterrichtete er an der Robert-Bosch-Schule in Zuffenhausen. Im Mai wird er 69; den Besen will er „schon noch a Weile“ weitermachen. „Wenn 70 Leut da drin mitsingen und glücklich sind, das macht Spaß.“

Leidenschaft für Karl Valentin

Die Valentin-Leidenschaft verdankt der Quereinsteiger seinem Onkel Adalbert, der viele Stücke auf Schallplatte hatte. Später sang der Neffe in einem gemischten Chor, dort knüpfte er Verbindungen zur Musikhochschule und konnte so den ersten Karl-Valentin-Abend samt Orchester „zusammenstupfeln“, wie er sagt. Damit tingelte er durch die Stadt, bis ein Kollege dem Junglehrer den entscheidenden Tipp gab. Da gebe es einen freien Wengert: Krug pachtete den Weinberg, studierte zwei Bücher über Weinbau und holte sich Rat bei den Parzellennachbarn. Sein erster Jahrgang war der 1979er: Es konnte losgehen mit dem Besen.

Seit damals und bis heute steht in der Küche Krugs Lebensgefährtin Karin Turba. Sie haben sich im Studentenwohnheim kennengelernt und leben bis heute in getrennten Wohnungen. „Ich muss allein sein, denken, lesen, malen“, sagt der Künstler-Wirt. Aber er weiß, was er seiner Partnerin zu verdanken hat. Um es mit Valentin zu sagen: „Sie sind auf uns nicht angewiesen. Aber wir auf Ihnen.“