Palazzo Vecchio, die Kathedrale Santa Maria del Fiore, das Baptisterium – überall sind geheime Botschaften versteckt, die wiederum auf neue Orte verweisen. Dennoch bleibt den beiden Helden, die eigentlich Milliarden von Menschen in den nächsten Stunden vor einem Komplott retten müssten, ausreichend Zeit zu wikipedia-gesättigten Vorträgen und Kontemplationen über die Kunstwerke.

 

Als Navigator durch die Welt der Symbole dient Brown die „Göttliche Komödie“. Doch Dante ist dem Autor nicht genug. Um seine Figuren aus einem dramaturgisch undurchschaubaren Grund von Florenz zunächst nach Venedig und schließlich nach Istanbul zu jagen, lässt er den Bösewicht des Romans, einen Schweizer Biochemiker und Milliardär namens Dr. Bertrand Zobrist, das Meisterwerk der Weltliteratur um einige Zeilen ergänzen. Diese Entscheidung, mit ihrer gehörigen Portion Hybris, offenbart die Schwäche von „Inferno“. Anders als in „Iluminati“ und „Sakrileg“ schafft Brown das Rätsel selber, das sein Symbologe Robert Langdon entschlüsseln muss. Es geht nicht mehr um versteckte Symbole in echten Kunstwerken. Hier haben wir es mit dem erfundenen Symbol zu tun.

Browns Erfolgsrezept, eine Geschichte, sei sie auch noch so absurd und aufgeblasen, mit der kunsthistorischen Wirklichkeit zu verweben, versagt also an zentraler Stelle. Das ist umso auffallender, als es kaum ein symbolträchtigeres und rätselhafteres Werk der Weltliteratur gibt als die „Göttliche Komödie“. Oder vielleicht ist auch gerade das der Grund: Wenn Dantes Werk selbst eine kaum erfüllbare Entschlüsselungsaufgabe für jeden Symbologen darstellt, braucht es da noch eine Weltverschwörung? Zumal wenn Robert Langdon, der weltgrößte Symbol-Entschlüssler und allerorten geschätzte Kunstexperte, Ewigkeiten benötigt, um sich daran zu erinnern, dass das Grab des Dogen Enrico Dandolo in der Hagia Sophia zu finden ist. Jeder Istanbul-Tourist mit Marco-Polo-Reiseführer weiß schneller als der große Experte, dass es im einstigen Byzanz eine gewaltige antike Kaverne gibt, die als „Versunkener Palast“ bezeichnet wird.

Trotz dieser Schwächen wird das Buch wieder ein Erfolg werden. Die Verschwörungsthriller des Dan Brown setzen inzwischen gewaltige Marketingmaschinerien in Gang. Viel Geheimnistuerei gehört dazu. Die Ausgaben in den wichtigsten Sprachen erschienen gleichzeitig mit dem englischsprachigen Original. Die Übersetzer mussten in scharf bewachter Kasernierung in Mailand arbeiten. Vorabexemplare für Rezensenten gab es nicht. Nur das erste Kapitel wurde als Appetithappen in einer Sonntagszeitung veröffentlicht. Die Verlagsmanager wollten nichts dem Zufall überlassen. Offenbar kann man zumindest noch einen Bestsellererfolg so planen wie Bösewichter das Weltengericht.