Der Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat die Aufnahmestelle für Flüchtlinge in Karlsruhe besucht. Er wendet sich gegen die Forderung, weitere Länder als sicher einzustufen.

Karlsruhe - Das Gespräch mit den syrischen Flüchtlingen ist eher kurz: Bei seinem ersten Besuch in der Karlsruher Landeserstaufnahmeeinrichtung (Lea) bittet Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) mehrere Asylbewerber „um Verständnis für die Verfahrensdauer“. Dies liege auch an der hohen Zahl an Asylbewerbern: „Alle Verfahren werden bearbeitet“, versichert er. In der Dauer der Verfahren sieht Kretschmann „den Dreh- und Angelpunkt“. Deshalb fordert er eine „beschleunigte Bearbeitung“ für Flüchtlinge mit klarer Bleibeperspektive.

 

Das ist auch eine der Kernforderungen in einem Papier, das parallel zu Kretschmanns Besuch in Karlsruhe mit den Vize-Regierungschefs, die die Grünen stellen, vollendet wird – immerhin acht an der Zahl. Damit wollen die Grünen kurz vor einem Treffen der Chefs der 16 Staatskanzleien und dem Chef des Bundeskanzleramtes zur Vorbereitung des nächsten Flüchtlingsgipfels in Berlin „Einigkeit und den Willen“ demonstrieren, in den Verhandlungen mit dem Bund „als eigenständige Kraft auftreten zu wollen“.

Papier mit Zündstoff

Das Papier birgt Zündstoff, denn: „Von der Idee, weitere Länder als sichere Herkunftsländer auszuweisen, sind wir nicht überzeugt.“ Es gebe keine Erkenntnisse, dass dieser Schritt im Falle von Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien „eine signifikante Wirkung auf die Zahl der Anträge oder die Verfahrensdauer hatte“. Es wäre „Symbolpolitik“, weitere Länder als sicher zu erklären.

Beim Flüchtlingsgipfel Ende Juli in Stuttgart konnte der Karlsruher Oberbürgermeister Frank Mentrup (SPD) Kretschmann offenbar davon überzeugen, die älteste Flüchtlingserstaufnahme im Land in Augenschein zu nehmen. Drei Standorte hatte Kretschmann während des mehrstündigen Besuchs im Stadtgebiet besichtigt: zwei davon, die Zeltstadt der ehemaligen Mackensenkaserne und die Lea-Hauptstelle an der Durlacher Allee, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Besuch „sei für ihn wichtig gewesen“, sagte Kretschmann im Anschluss.

Bis zum Frühjahr wolle Grün-Rot weitere 10 000 Lea-Plätze schaffen, kündigte der Ministerpräsident an. Damit habe man „etwa ein Viertel der Aufnahmeplätze in Deutschland“ insgesamt. Auch Karlsruhes OB Mentrup forderte „schnell neue Lea-Kapazitäten“, die „Stadt mit der Mutter aller Leas“ fühle sich durch Kretschmanns Besuch nun ernster genommen.

Modernes Zuwanderungsrecht gefordert

„Die Verfahrensdauer ist der Dreh- und Angelpunkt“, sagte Kretschmann. Alles andere „wie das von der CDU thematisierte Thema Taschengeld“, seien nachgeordnete Probleme. Es würde vor allem „an neuen Entscheidern über Asylgesuche“ fehlen. Kritik richtete er an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die „seine Hilferufe monatelang unbeantwortet gelassen“ habe.

Zudem forderte der Ministerpräsident „ein modernes Zuwanderungsrecht“. Das findet sich auch in dem Grünen-Papier wieder. Man favorisiere „den Ansatz, auch Menschen vom Westbalkan Zugänge zum Arbeitsmarkt zu ebnen, um ihnen Alternativen zum aussichtslosen Asylverfahren zu bieten“, heißt es darin. Die neun leitenden Grünen-Politiker unterscheiden in ihrer Ausarbeitung zwischen Menschen, „die vor Armut und Perspektivlosigkeit fliehen und dennoch nicht bleiben können“ und Menschen, „die vor Krieg, Vertreibung und politischer Verfolgung fliehen und daher Schutz und damit eine sichere Bleibeperspektive erhalten“. Diese Botschaft ist an die eigene Partei gerichtet, die eine solche Trennung ungern machen möchte. Doch: „Politische Verantwortung bedeutet auch, diese harte Wahrheit auszusprechen und sie in unser Handeln einzubeziehen.“

Beispiel Karlsruhe

Hinsichtlich der Flüchtlinge „mit sehr geringer Bleibeperspektive“ verlangen die Unterzeichner, „dass die Länder die Möglichkeit bekommen, diese bis zum Ende des Verfahrens in den Erstaufnahmen des jeweiligen Landes zu belassen“. Dafür müssten die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden.

Vom Ablauf her könnte Karlsruhe Beispiel sein. Seit einem Vierteljahr ist die in der Felsstraße betriebene „Zweigstelle“ mit allen Umbauten fertig. Eigene „Erfassungsstraßen“ wurden in dem Bau, der früher die Sparkassen-Informatik beherbergte, eingerichtet: Dort können Lichtbilder der neu Ankommenden gefertigt, die Fingerabdrücke abgenommen und die Erstgespräche zu Name und Herkunft geführt werden. „Das Organisations- und Raumkonzept in der Felsstraße zeigt ein Bild, wie ich es mir wünsche. Hier sind die Weichen gestellt, damit die Verfahren weiter optimiert werden können“, so Kretschmann.