Der demografische Wandel schreitet in China rasant voran. Längerfristig ist er die wohl größte Herausforderung für den Aufstieg des Landes. Die Volksrepublik wird alt, bevor sie reich wird.

Vor genau einem Jahr räumte das chinesische Statistikamt den ersten Bevölkerungsrückgang seit der Zeit der großen Hungersnöte ein. Wie aktuelle Zahlen belegen, hat sich die Entwicklung weiter verschärft: 2023 ist die chinesische Bevölkerung um mehr als zwei Millionen Menschen geschrumpft, die Anzahl an Neugeborenen im selben Zeitraum um 500 000 zurückgegangen. „Das ist ein besorgniserregender Trend“, kommentiert Hao Hong, einer der prominentesten Banker des Landes.

 

Seine Einschätzung wird auch von der Regierung geteilt. In Peking gibt es keine Illusionen darüber, dass langfristig der demografische Wandel die größte Herausforderung für den Aufstieg der Volksrepublik darstellen wird – noch vor den geopolitischen Spannungen mit den USA. Anders gesagt: Das Reich der Mitte droht alt zu werden, bevor es wirklich wohlhabend geworden ist.

Schlechte Bedingungen für Familien

Warum sich immer weniger Frauen gegen das Kinderkriegen entscheiden, hat mit dem modernen Lebenswandel und vor allem den hohen Lebenskosten zu tun. Die Immobilienpreise sind in den großen Städten astronomisch, der Konkurrenzkampf im Bildungssystem extrem hart und das Kinderbetreuungsangebot für junge Eltern höchst rudimentär. Hinzu kommt eine Gesellschaft, die zunehmend politisch repressiver wird – allesamt also keine guten Voraussetzungen, um Kinder in die Welt zu setzen.

Doch beschleunigt hat sich die Entwicklung auch durch die Coronapandemie. Zum einen ist die Sterberate im Vorjahr – nach der abrupten Abkehr der Null-Covid-Politik – stark angestiegen. Vor allem aber haben die drakonischen Lockdowns die Lebensentwürfe vieler junger Chinesen auf den Kopf gestellt. Das Gefühl von Ohnmacht und Unsicherheit hallt nach, insbesondere da sich die wirtschaftliche Lage nie vollständig erholt hat. Die Jugendarbeitslosigkeit befindet sich auf einem historischen Rekordhoch.

Wenn immer mehr Menschen im Rentenalter sind und der Anteil an arbeitender Bevölkerung sinkt, dann ist dies aus volkswirtschaftlicher Sicht keine gute Nachricht, denn dann lähmt dies unweigerlich die Wachstumsmöglichkeiten des Bruttoinlandsprodukts.

Ein Bruttoinlandsprodukt auf dem Niveau Rumäniens

Dies ließ sich bereits in Europa beobachten, aber auch in Südkorea und Japan. Doch im Gegensatz zu den OECD-Staaten befindet sich China, gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, weiterhin auf dem Niveau von Rumänien. Da sich das Zeitfenster der Boomjahre schnell schließt, droht das Reich der Mitte nun in der sogenannten „middle income trap“ gefangen zu bleiben – also nicht den Sprung vom Schwellenland zu den führenden Wirtschaftsnationen zu schaffen.

Zwar gibt es Vorstöße, die das Problem an der Wurzel packen: So werden jungen Familien vielerorts günstigere Hauskredite angeboten, Steuervorteile gewährleistet und auch direkte Geldzahlungen ausgehändigt. Nur zeigten diese Anreize bisher keinerlei Wirkung. Noch hat Peking ein paar Asse im Ärmel, um die Folgen des drohenden Arbeitskräftemangels hinauszuzögern. So könnte die Regierung das gesetzliche Rentenalter, welches mit 55 Jahren für Frauen und 60 Jahren für Männer im internationalen Durchschnitt sehr niedrig liegt, noch deutlich anheben.

Dabei setzt sie auf technologische Lösungen, allen voran Automatisierung und Künstliche Intelligenz. In vielen Hotels und Restaurants in Peking bringen bereits Roboter die Getränke und Speisen zum Kunden, in Shenzhen erprobt man Paketlieferungen per Drohne. Was noch als futuristische Spielerei zu verbuchen ist, wird bald notwendig sein, um den Mangel an Arbeitern auszugleichen.