Was verbinden Sie und die anderen Flüchtlinge mit der Musik?
Für die Flucht aus Syrien nimmt man nur das Nötigste mit. Natürlich würden viele gerne das syrische Essen, die Düfte oder all die bedeutenden Orte, an denen sie die schönsten Erfahrungen gemacht haben, mit sich auf die Reise nehmen, um in der Fremde etwas von der Heimat zu haben. Das Einzige, was wir von unserer Kultur mitbringen konnten, ist jedoch die arabische Musik. Ich kann nicht für alle Flüchtlinge sprechen, aber für mich verkörpert die Oud meine Heimat.
. . . in die Sie zurückkehren wollen?
Ich glaube, es gibt keinen, der geflüchtet ist, und nicht an die Rückkehr in die Heimat denkt. Aber momentan ist das schwierig. Ich versuche mich an den Gedanken zu gewöhnen, für eine Weile hier zu bleiben. Oft empfinde ich deshalb Trauer, wenn ich die Laute spiele. Die arabische Musik ist aber gleichzeitig auch ein Trost. Es gibt Tage, da empfinde ich Glück, wenn ich spiele. Mir kommen dann die Erinnerungen an Salchad, wo ich meine Kindheit verbracht habe, und an das schöne Damaskus, das ich nur aus Kriegszeiten kenne. Manchmal frage ich mich: Wenn Damaskus sogar im Krieg so wunderbar ist, wie muss es dann zuvor gewesen sein? Manchmal trinken wir auch ein bisschen Alkohol, das macht mich etwas lockerer, und es lässt sich entspannter spielen. Aber nicht viel – es soll ja noch nach Musik klingen.
Können Sie sich vorstellen, später einmal als professioneller Musiker zu arbeiten?
Nein, ich spiele Oud als Hobby und weil ich die traditionelle arabische Musik sehr mag. Wenn sich alles gefügt hat, kann ich mir vorstellen, als Übersetzer oder Lehrer zu arbeiten. Ich bin an der englischen Sprache sehr interessiert, lese gerne angloamerikanische Literatur, von William Shakespeare über Georg Bernard Shaw bis hin zu Ernest Hemingway.
Haben Sie neben diesen Lieblingsautoren auch ein Lieblingslied?
Ja, es nennt sich „Quadukku El Mayyas“, übersetzt bedeutet das „Deine zarten Wangen“. Es ist mehrere Hundert Jahre alt und basiert auf einem arabischen Gedicht, das wohl von den Sufis geschrieben wurde. Interessant ist, dass das Lied, betrachtet man es historisch und vor dem religiösen Hintergrund, von der Liebe zu Allah handelt, so wie viele Texte im Sufismus. Die heutigen modernen Interpretationen besingen eher die Liebe zu einer Frau, viele Sänger wissen offenbar nicht, dass das Lied ursprünglich Allah gewidmet ist.
Wie ist das bei Ihnen? Besingen Sie auch eine bestimmte Frau, wenn Sie das Lied spielen?
Ich muss zugeben, dass ich keine gute Stimme habe. Ich singe daher nie, wenn ich spiele. Und ich denke an keine Frau. Ich denke an etwas, das merkwürdigerweise in keinerlei Zusammenhang mit dem Inhalt des Liedes steht. Im Grunde interessiert mich persönlich weniger der Text eines Liedes – der handelt meist entweder nur von der Liebe oder ist ziemlich patriotisch. Ich begeistere mich viel mehr für den Stil, für die Melodie und die Spieltechniken, die sich von Region zu Region unterscheiden.
Wollen Sie nicht doch verraten, an was Sie bei dem Lied „Quadukku El Mayyas“ denken?
Ich denke an den ersten Tag, an dem ich in Damaskus ankam, um mein Studium an der Universität zu beginnen. Damals traf ich meinen älteren Bruder Firas wieder, der dort schon sein Studium aufgenommen hatte. Er spielt im Übrigen die Darbuka – das ist eine arabische Trommel – und ist inzwischen in Berlin. Wir haben in Damaskus oft zusammen Musik gemacht. Das war eine schöne Zeit. Hoffentlich sind wir bald wieder beisammen. Aber er müsste dafür nach Stuttgart kommen. Ich war schon in Berlin, und mir gefällt es hier besser.
Sie scheinen eine sehr musikalische Familie zu haben. Wie sind sie zum Oud-Spieler geworden?
Ich war bereits 16 Jahre alt, meine Schwester studierte Musik auf Lehramt und brachte eines Tages eine Oud mit nach Hause. Ich habe sie einfach genommen und angefangen zu spielen. Mein Vater, der inzwischen leider gestorben ist, sagte zu mir, wenn ich dieses traditionelle Instrument erlernen wolle, engagiere er einen Lehrer. Am Anfang hatte ich nicht immer Lust zu üben, denn es war anstrengender, als ich erwartet hatte. Aber mit der Zeit habe ich die Musik lieb gewonnen und mich durch sie selbst weiterentwickelt.
Können Sie eigentlich auch Gitarre spielen?
Ich habe es versucht, aber es gibt bedeutende Unterschiede. Die arabische Laute hat beispielsweise keine Bünde, wie man es von einer Gitarre kennt. Sie wird auch nicht mit Akkorden gespielt. Zudem gibt es in Tonarten oder Skalen Unterschiede zwischen der europäischen und der nahöstlichen Musik. Die arabische Musik hat zusätzlich zu den ganzen und halben Tönen, die es auch in der europäischen Musik gibt, noch Vierteltöne. Es gibt also viel mehr Zwischentöne. Die unterschiedliche Spielweise der Instrumente lässt sich vielleicht am besten mit einem Bild verdeutlichen: Wer Gitarre spielt, klettert eine Leiter hinauf; wer Oud spielt, klettert einen Baum empor.
Und wer klettert am schönsten auf Bäume?
Farid al-Atrache, der leider schon gestorben ist. Er stammt aus meiner Heimat As-Suweida. Mit seiner Musik ist er sehr berühmt geworden. Seine Lieder erinnern mich an meine Kindheit, als das Leben noch völlig unbeschwert war.