Vor zehn Jahren hatte der Waiblinger Luigi Pantisano die Idee zu der Veranstaltungsreihe „Bunt statt Braun“, die in diesem Jahr vom 16. bis zum 21. November läuft. Rund 9000 Jugendliche haben seither Workshops und Vorträge zum Thema Rassismus besucht.

Waiblingen – - Toleranz und Menschlichkeit statt Ausgrenzung und Stigmatisierung – das war seit jeher das Motto bei der Jugendkulturwoche „Bunt statt Braun“, die immer im November im Waiblinger Kulturhaus Schwanen stattfindet. Luigi Pantisano und Cornelius Wandersleb haben das Projekt gegen Rassismus schon vor zehn Jahren aus der Taufe gehoben – und doch ist es auch angesichts des NSU-Skandals aktuell wie nie. Dieses Mal liegt ein Schwerpunkt auf der Rolle der Frauen in der extremen Rechten – wieso, erklärt die Waiblinger Chancengleichheitsbeauftragte Gabi Weber.
Herr Pantisano, Sie hatten die Idee zu einer Jugendkulturwoche gegen Rassismus. Wie kam es dazu?
Die Idee zu „Bunt statt Braun“ ist vor zehn Jahren entstanden. Zu der Zeit haben die Jungen Nationaldemokraten, also die Jugendorganisation der NPD, auf Schulhöfen eine CD mit Liedern rechtsextremer Bands verteilt. So haben sie Jugendliche geködert. Die Schulhof-CD war Anlass für eine weitere CD mit dem Titel „Aufmucken gegen Rechts“. Davon konnte man Exemplare bekommen, wenn man eine Veranstaltung gegen Rassismus organisiert hat. Die meisten haben damals ein Konzert oder eine Demo gemacht.
Warum haben Sie keine Demo organisiert, sondern gleich eine ganze Kulturwoche?
Gegendemos sind zwar wichtig, aber sie ändern nichts am gesellschaftlichen Zustand. Unsere Idee war, Jugendliche über kulturelle Angebote anzusprechen und so eine Veränderung in den Köpfen hin zum Wacher-Sein und weniger leicht Verführbar-Sein zu bewirken.
Herr Wandersleb, Sie standen der Sache erst skeptisch gegenüber. Wieso?
Richtig, ich war eher Bedenkenträger, als Luigi mit diesem Vorschlag auf mich zukam. Ich habe vorgeschlagen, zunächst nur eine Veranstaltung zu machen, zum Beispiel ein Konzert, aber nicht gleich eine ganze Woche mit Angeboten für insgesamt tausend Jugendliche. So etwas muss man ja auch erst einmal vollkriegen.
Herr Pantisano, Sie konnten schließlich Cornelius Wandersleb und weitere Mitstreiter überzeugen...
Ja, gleich beim ersten Mal waren der Kreisjugendring, der Rechtsextremismusbeauftragte des Landkreises und Leo Keidel vom Haus der Prävention in Waiblingen dabei. Wir haben ein Konzept ausgeklügelt. Die Grundidee war, dass wir fünf Themenfelder haben, um bei den Jugendlichen die ganze Bandbreite der Interessen abzudecken: eine Ausstellung über Rechtsextremismus, außerdem einen Film, ein Theaterstück, ein Konzert und Workshops mit Schulklassen. Das Ganze sollte nicht in der Schule stattfinden. Die Dinge aus der Schulzeit, an die ich mich heute erinnern kann, waren nämlich alles Sachen, die außerhalb der Schule gelaufen sind.
 
Cornelius Wandersleb: Genau! Und wir haben nie nur ein Theaterstück oder einen Film angeboten, sondern immer auch ein Gespräch dazu, um das Gesehene nachzubereiten. Die Gespräche haben ganz bewusst wir Organisatoren moderiert, nicht die Lehrer. Denn wir haben bei den Schülern keinen „Lehrer-Malus“.
Gab es Flops in den zehn Jahren?
Luigi Pantisano: Schwierig war der Musikbereich. Die ersten Jahre haben wir Konzerte in allen Varianten angeboten, auch mal eine Party veranstaltet, aber diese Sachen wurden wenig besucht.
Cornelius Wandersleb: „Musik gegen Rechts“, das hört sich ehrlich gesagt nicht gerade aufregend an. Schließlich haben wir einen Wettbewerb draus gemacht: den „Bunt statt Braun Award“. Jugendliche machen selbst Texte und Musik und der Gewinner bekommt 500 Euro. Das war eine gute Lösung und läuft nun seit fünf Jahren. Mit dabei sind die Popmusic School Fellbach, die 7us media Group Winnenden und das Pop-Büro Stuttgart.
Vor fünf Jahren hat die damalige CDU-Stadträtin Susanne Gruber „Bunt statt Braun“ vorgeworfen, auf dem linken Auge blind zu sein, nur gegen Rechtsextremismus zu agieren. Das löste ziemlichen Wirbel aus, umso mehr, als sie das in der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit geäußert hat. Was sagen Sie im Rückblick dazu?
Cornelius Wandersleb: Kalter Kaffee.
Was hat sich in den zehn Jahren verändert ?
Luigi Pantisano: Am Anfang herrschte die Vorstellung, dass man Neonazis an ihren Glatzen, den Springerstiefeln und Bomberjacken erkennt – es gab ja auch tatsächlich solche Nazis im Rems-Murr-Kreis. Aber heute kann man sie nicht mehr so einfach erkennen. Zu Beginn von „Bunt statt Braun“ hatten wir einen Fokus auf deutsche Nazis, die gegen Migranten hetzen. Da Rassismus ja nicht nur von Deutschen ausgeht, haben wir unsere Angebote entsprechend erweitert.
Cornelius Wandersleb: Das haben wir damals, vor sieben Jahren, kontrovers diskutiert: Ist es politisch korrekt, wenn man sagt, dass es beispielsweise in der italienischen oder türkischen Community oder in Teilen davon auch gruppenspezifische Gewalt, Ausgrenzungs- und Diffamierungsdenken und Gewaltbereitschaft gegen eine als Feind ausgemachte andere gesellschaftliche Gruppe gibt. Zum Glück haben wir uns für Realismus, den steinigeren Weg, entschieden. Wer nur auf dem einen Auge gut sieht, und mit dem anderen schlecht, gilt am Ende nur als blauäugig.
Wie hat sich das auf das Programm ausgewirkt?
Cornelius Wandersleb: Wir haben gemerkt, dass in Schulen das Thema Rechtsextremismus weniger virulent ist, als Mobbing. So haben wir dieses Thema aufgegriffen und sind schier überrannt worden. Die Schulen haben dann teilweise eigene Veranstaltungen zum Thema Mobbing organisiert. Das ist auch sinnvoll, denn Mobbing und Rechtsradikalismus haben dieselben Strukturen: Ein Einzelner oder eine Gruppe wird definiert, diffamiert und mit Gewalt bedroht. Was beim Mobbing passiert, ist wie eine Vorschule für den Rechtsextremismus. Es geht um fragile Identität und um Ängste, um deren Transformation in Furchtlosigkeit und Stärke durch ein Wahrheit, Identität und Individualität nicht zulassendes radikales Kollektiv. .
In diesem Jahr gibt es keinen Mobbing-Workshop...
Cornelius Wandersleb: Stimmt. Dieses Mal bieten wir den Workshop „Die Kurve kriegen“ an. Er richtet sich an junge Menschen, die Probleme beim Übergang ins Berufsleben haben. In solchen Situationen ist das Selbstwertgefühl ganz unten und Nazis rennen quasi offene Türen ein. Ein bikulturelles Trainerpaar zeigt, wie man seine eigenen Werte und Stärken finden und allein oder mit Hilfe von anderen die Kurve kriegen kann.
Frau Weber, Sie mischen als Beauftragte für Chancengleichheit zum ersten Mal mit und haben die Politologin Ellen Esen eingeladen, die einen Vortrag über „Mitläuferinnen und Macherinnen“ hält.
Gabi Weber: In der rechten Szene spielen auch Mädchen und Frauen eine immer wichtigere Rolle. Das nimmt aber niemand richtig ernst. Deshalb bin ich froh, dass dieses Thema aufgegriffen wird. Auch durch die Inszenierung der „Welle“ durch das Staufer-Gymnasium – mit fast nur Mädchen, also Schülerinnen statt Schülern, und mit „Brenda“ Ross anstelle von „Ben“ Ross. Einer Lehrerin, einer Leit-Frau – was ganz realistisch ist – statt eines sonst in den Geschichten immer männlichen Leitwolfs.
Welchen Part übernehmen die Frauen in der rechten Szene?
Sie spielen eine besondere Rolle, gerade, weil sie oft nicht als rechtsextrem erkannt werden. Frauen werden ja allgemein als weniger bedrohlich und Mädchen oft nicht als politische Akteurinnen wahrgenommen. Die rassistische Äußerung eines Mädchens wird vom Umfeld eher als Gezicke, pubertärer Quatsch, abgetan. Tatsache ist aber, dass Frauen und Mädchen in der rechten Szene aktiv gefördert werden und dort Halt finden. Es gibt zum Beispiel die Frauen in der Musikszene, die harmlos wirken, aber die rechten Ideen verbreiten, und es gibt die sogenannten „Volksmütter“, die die Kinder entsprechend der Ideologie erziehen. Auf jeden Fall sind Mädchen in der Szene nicht nur als die Freundin präsent, sondern übernehmen einen aktiven Part. Das beweist das Beispiel von Beate Zschäpe, der Hauptangeklagten im NSU-Prozess, deren Rolle zu lange unterschätzt wurde. Ellen Esen schätzt, dass rund ein Fünftel der Unterstützer der NSU Frauen sind. Das passt aber nicht ins Bild und das nutzt die rechte Szene aktiv, um unter harmlosen Deckmäntelchen ihre Ideen in die Mitte der Gesellschaft zu transportieren. Der Ausstieg ist für die Mädchen unglaublich schwierig. Daher ist ein gesonderter Blick auf die Frauen und Mädchen so wichtig.
Besteht bei einer solchen Jugendkulturwoche nicht die Gefahr, dass nur die kommen, die ohnehin am Thema interessiert sind?
Cornelius Wandersleb: Das Gute ist, dass man über die Teilnahme von Schulklassen auch die kriegt, die sonst nicht kommen würden.
Gabi Weber: Ich denke, dass im Prinzip alle von „Bunt statt Braun“ profitieren, da jeder von uns Vorurteile in sich trägt und oft unbewusst andere ausgrenzt. Deshalb ist es wichtig, dass alle mal einen Schubser kriegen.
Herr Pantisano, denken Sie, Ihre Idee trägt Früchte?
Dazu folgende Geschichte: In einem Jahr haben wir einen Film mit offenem Ende gezeigt und Jugendliche aufgefordert, in den folgenden Wochen ihren eigenen Schluss zu produzieren. Ein Beitrag kam von Jugendlichen aus dem Raum Backnang. Sie haben ihr Filmende mit Freunden aus der linken Szene und einem Skinhead aus dem Bekanntenkreis gedreht und mit diesem Beitrag gewonnen. Am Ende saßen alle zusammen im Schwanen und haben sich bei einem Bier angeregt unterhalten. Das war klasse! Ich glaube schon, dass so etwas nachwirkt. Wenn etwas, dann so etwas.