Immer mehr Menschen begeben sich unter das Messer eines plastischen Chirurgen. Doch im Milieu der Schönheitschirurgie tummeln sich auch schwarze Schafe. In Hamburg steht eine Ärztin vor Gericht, die eine Pornodarstellerin zu Tode operierte.

Stuttgart - Mehr Küsse im Babyalter, bessere Noten als Schüler und später im Job ein höheres Gehalt: Attraktivitätsforscher kommen häufig zum Schluss, dass sich Schönheit auszahlt. Viele wollen deshalb der Genetik oder dem Alter ein Schnippchen schlagen und setzen auf Sanierung am Statussymbol Körper.

 

Privilegiert ist nicht mehr nur, wer gute Gene hat. Sondern auch, wer sich, ohne mit der Wimper zu zucken, ein Körpertuning leisten kann. Eine finanzielle Herausforderung sind die Eingriffe nach wie vor: gestraffte Lider gibt es für 2600 Euro, neue Brüste kosten etwa das doppelte, und Fettabsaugen kommt auf 3000 bis 10 000 Euro – je nach Anbieter. Finanziert werden kann das neue Stück Glück bisweilen immerhin auf Ratenzahlung. Und das Angebot wird üppiger: In Städten gibt es Botox to go, im Ausland werden Schnäppchen-Brüste beworben.

Manchmal ist der Preis zu hoch. Carolin Wosnitza, bekannt geworden als Pornodarstellerin Sexy Cora, starb, weil sie immer mehr wollte. Ihr Leben in Zahlen: 1,57 Meter groß, 47 Kilo schwer, Schuhgröße 36, Konfektionsgröße 32, rund 100 Pornorollen. Die Karriere ihrer Brüste beginnt von Körbchengröße 70 B auf 70 D, von 70 D auf 70 E, von 70 E auf 70 F. Auf die Implantate, 500 Gramm pro Seite, erhält sie lebenslange Garantie. Spätestens bei Station F weicht die alte Carolin aus Sexy Coras Leben. „Ich kann nur Porno“, klagt die blondierte junge Frau als Bewohnerin des Big-Brother-Containers 2010. Sie will sein wie Pam, die Baywatch-Nixe mit den Bojenbrüsten.

Internetforen berichten über traurige Fälle von Pfusch

Ihr Stammarzt rät dringend von weiteren Vergrößerungen ab. Die 23-Jährige will es trotzdem, wird in einer Hamburger Privatklinik fündig. Der letzte Eingriff soll ihr das Wunschmaß 70 G auf den Leib schneidern. Doch während der Operation bleibt ihr Herz stehen, sie fällt ins Koma. Am 20. Januar 2011 stirbt Carolin Wosnitza im Krankenhaus. Heute beginnt der Prozess gegen eine Ärztin in Hamburg – wegen fahrlässiger Tötung. Sicherlich ist diese Geschichte eine Ausnahme. Und sie hat auch wenig mit Menschen zu tun, die so sehr unter einer krummen Nase oder abstehenden Ohren leiden, dass sie sich von einem Eingriff den Befreiungsschlag erwarten. Schiefgehen kann eine Schönheitsoperation – wie im Übrigen auch jede andere OP – immer. Mit den traurigen Geschichten sind zahlreiche Internetforen gefüllt. Pfuscher und schwarze Schafe, die den hippokratischen Eid vergessen haben, bringen Schönheitsoperationen und plastisch-chirurgische Eingriffe in Verruf.

Die Tatsache, dass der Begriff „Schönheitschirurgie“ nicht geschützt ist, macht die Situation nicht einfacher. Jeder Mediziner darf sich „Schönheitschirurg“ oder „Ästhetischer Chirurg“ nennen – auch wenn er nur einen Wochenendkurs belegt hat.

Dabei sind Schönheitsoperationen an sich nicht verwerflich, wenn sie fachkundig durchgeführt werden. Das findet zumindest der Philosoph Philipp Hübl von der Uni Stuttgart. „Die Menschen versuchen in allen Lebensbereichen, sich zu optimieren. Sie verfolgen ihre Karriere, richten sich schön ein und optimieren ihren Lebenslauf. Warum sollten sie ausgerechnet vor dem äußeren Erscheinungsbild haltmachen“, fragt sich der Philosophieprofessor. Am Ansturm auf die Ware Schönheit mangelt es beileibe nicht. Nach Schätzungen der Stiftung Warentest wurden bereits 2008 rund 500 000 Schönheitsoperationen vorgenommen. Hinzu kommen 300 000 kleinere, auf Neudeutsch Lunchtime-Eingriffe, wie das Aufspritzen der Lippen, die Faltenbehandlung mit Botulinumtoxin (Botox) oder Hyaloronsäure. Der beliebteste Eingriff ist laut der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC), trotz Silikonskandal, die Brustvergrößerung. Auch die Eingriffe bei Männern steigen: bei ihnen liegt die Lidstraffung auf Platz eins.

Wer schön sein will und sich operieren lässt, schweigt sich darüber meist dennoch aus. Philosoph Hübl zufolge liegt das daran, dass die gebildete Gesellschaftsschicht Schönheitsoperationen oft als oberflächlich und künstlich abstempelt. „Ich sehe aber keinen prinzipiellen Unterschied zwischen künstlich und natürlich. Genau genommen ist auch schon das Bartrasieren, Haare färben oder Augenbrauen zupfen nicht natürlich“, meint Hübl. In den USA ist die Schönheitschirurgie mittlerweile die am schnellsten wachsende Disziplin innerhalb der Medizin – und bei Weitem nicht so tabuisiert. Trotz Wirtschaftskrise haben die Amerikaner 2009 rund zehn Milliarden Dollar für mehr als 12 Millionen kosmetische Eingriffe ausgegeben. Experten zufolge ist das ein Anstieg um 70 Prozent innerhalb der vergangenen neun Jahre.

Experten halten den Wunsch nach Schönheit für legitim

Die Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) zählte für Deutschland 2011 insgesamt 135 342 Eingriffe. Hinzu kamen 123 990 Faltenunterspritzungen mit Botox, Hyaloron und anderen Präparaten. Allerdings sind dies nur Zahlen aus Erhebungen unter Verbandsmitgliedern. „Den klassischen operativen Eingriffen stehen somit fast ebenso viele Faltenunterspritzungen gegenüber“, sagt Kerstin van Ark, Pressesprecherin der DGPRÄC.

Vielleicht vollzieht sich langsam ein gesellschaftlicher Wandel. „Die erste Zahnklammer aus Draht hat sicher befremdlich auf die Menschen gewirkt. Heute gilt es fast als fahrlässig, eine kosmetische Begradigung der Zähne im Kindesalter abzulehnen“, sagt Hübl. Der Wunsch, schön zu sein, ist dem Philosophen zufolge universell – und steinalt. Studien haben ergeben, dass das heutige „Vogue“-Covergirl die klassischen Maße von Nofretete hat. Das gilt Hübl zufolge immer noch als schön, weil im Kopf eines jeden Menschen ein Schönheitsmodul stecke, das mit universellen Einstellungen für Gesichter und Proportionen versehen ist.

Litfaßsäulen, Magazine, Titelseiten: von vielen Plätzen lächeln täglich unzählige idealtypische Schönheiten herab, die auf den zweiten Blick aber nicht viel mit der Realität zu tun haben. „Deshalb sind selbst überdurchschnittlich attraktive Frauen oft unzufrieden, weil sie sich an retuschierten Bildern messen“, sagt Philipp Hübl. Wer sich dagegen im ganz normalen Umfeld umschaue, stelle vielleicht schnell fest, dass er es eigentlich ganz gut getroffen hat.