Der Bundesfinanzminister erklärt in der ARD seine negativen Gefühle bei der Jagd und warum es für die Ampel-Koalition keinen Blankoscheck gibt.

Schon schön, wenn ein Politiker mal offene Gefühle zeigt und sich mal so richtig ärgern kann. Das war bei der Talkrunde von Caren Miosga am Sonntag im Ersten bei Bundesfinanzminister Christian Lindner mindestens ein Mal der Fall. Aber zunächst einmal umgarnte Miosga den Liberalen mit Nettigkeiten, wie etwa der, dass er in der Öffentlichkeit nicht um ein gutes Image bettle und beispielsweise zur Jagd gehe, um „im Wald Bambis zu töten.“ Lindner hat seit sechs Jahren den Jagdschein, er begründet dies ganz plausibel mit der Verbundenheit zur Natur, der notwendigen Hege und Pflege des Wildbestandes und einer ehrlichen Weise der Lebensmittelproduktion.

 

Schließlich bereite er Freunden dann gerne auch ein „Wildgulasch“ zu. Bei den Detailfragen von Miosga wurde Lindner „ein bißchen an eine Jagdprüfung“ erinnert, räumte aber offen ein, dass bei ihm nach dem Erlegen eines Tieres ein „Gefühl des Bedauerns“ eintrete, das sei wohl natürlich, „wenn man einem Tier das Leben genommen hat“.

Lindner reagiert verärgert

Schnell ging es danach zum Thema des Abends, dem Zickzack-Kurs der Ampel-Regierung, die immer wieder bereits beschlossene Vorhaben – Kürzungen beim Agrardiesel, Rentenpaket, Bürgergeld – in Frage stelle und anzweifle. Lindner meinte, es gebe nun mal einen politischen Prozess, der sich weiter entwickle, und die Rücknahme der Streichungen beim Agrardiesel seien vom grünen Landwirtschaftsminister gekommen. Dann kam der Moment, in dem er wirklich seine persönliche Verärgerung erkennen ließ.

Miosga hatte ein Video einspielen lassen, wie Lindner im März in Berlin vor protestierenden Bauern spricht - und das ähnelte schon stark an eine Anbiederung an den Nährstand: Er komme auch vom Land, sei neben Wald und Wiesen aufgewachsen, er wisse wie hart es sei, einen Tag im Stall zu arbeiten und der Unterschied der Bauern zu den Klimaklebern sei, dass die Klimaaktivisten das Brandenburger Tor beschmierten, die Landwirte es aber „ehren“ würden. „Wie bitte? Wie ehren denn die Bauern das Tor?“, wollte Miosga genauer wissen und Lindner erklärte es vage mit der aufgeheizten Stimmung, die damals herrschte.

Das „ehren“ sei so gemeint gewesen, dass die Bauern immerhin friedlich vor dem Brandenburger Tor demonstriert hätten. Als die Moderatorin nachhakte, platzte dem FDP-Mann der Kragen: „Geschenkt, Frau Miosga. Ich schenke Ihnen den Punkt.“ Man könne aus jeder Rede Versatzstücke holen und collagieren und damit Politik machen.

Auf Distanz zur Thüringer FDP

Die Lage der FDP ist derzeit nicht rosig, sie bewegt sich in den Umfragen bei vier Prozent und Miosga wollte wissen, ob dies daran liege, dass die Liberalen in der Regierung als „Opposition“ wahrgenommen werden. „Für die einen machen wir zu viel mit, für die anderen blockieren wir zu viel“, sagte Lindner. Die drei bevorstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland könnten wichtige Wegweiser sein, aber leicht werden sie für die FDP nicht, und Caren Miosga wies auf die Unstimmigkeiten zwischen der Bundes-FDP und der Thüringer Landes-FDP unter Thomas Kemmerich – der in Erfurt einmal kurz Ministerpräsident mit den Stimmen der AfD war – hin.

Die Bundespartei gibt keine Gelder für den thüringischen FDP-Wahlkampf, liberale Spitzenleute wie Lindner oder die EU-Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann werden dort keine Auftritte haben. Kemmerich hat Strack-Zimmermann in einem Interview sogar einmal als „falsche Kandidatin“ bezeichnet. Ob der Thüringer die liberale Spitzenfrau nicht desavouiere, wollte Miosga wissen. „Jeder Landesverband geht seinen eigenen Weg“, entgegnete Lindner: „Ich wünsche viel Erfolg.“ Für wichtiger als die Thüringer Wahl hält er die Europawahl, da rechne er sich viel aus, so Lindner.

Schon einmal stieg die FDP aus

Ob die Ampel-Koalition am Streit ums Geld zerbrechen könne, das war die Leitfrage der Sendung – schließlich hat die FDP 1982 unter Kanzler Helmut Schmidt schon einmal eine Koalition gesprengt. Mit solchen Szenerien spiele man nicht, so Lindner, aber er habe Respekt vor den damaligen FDP-Politikern Hans-Dietrich Genscher und Otto Graf Lambsdorff. Für ihre Prinzipien würden die Liberalen auch ins Risiko gehen und sogar ihre Existenz aufs Spiel setzen. Historische Parallelen sieht Lindner aber nicht direkt: Man habe zwar eine eklatante Wachstumsschwäche, aber trotz allem habe man es in der Ampel-Koalition immer wieder geschafft große Unterschiede zu überbrücken und einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die FDP werde weiter an der Schuldenbremse festhalten und irgendwann werde die SPD auch erkennen, dass es Mittel für einen Wirtschaftsschub gebe.

Lindner setzt auf eine Entbürokratisierung, Strukturreformen und eine Entlastung der Wirtschaft. Gelinge dies und übe man noch drei Jahre lang ein gewisse Disziplin bei den Staatsausgaben, könne man 2028 auch die Tilgung der Corona-Kredite aussetzen, das bringe zehn Milliarden Euro und werde – gemeinsam mit wieder sprudelnden Steuereinnahmen – eine von da an drohende Finanzlücke von 30 Milliarden Euro schließen. Die Schuldenquote – vor Corona bei 59 Prozent – sei 2021 auf 69 Prozent gestiegen, er habe sie auf 64 Prozent gedrückt und wolle wieder auf das Niveau vor der Pandemie kommen.

Eine Mitschuld eingeräumt

Ein klares Nein, dass die Koalition nicht platzen werde, war von Lindner in der Sendung übrigens nicht zu hören: „Es gibt keinen Blankoscheck in der Politik. Dann wäre ich ja doch erpressbar“, meinte der Finanzminister. Wo die Sollbruchstelle liegt, das verriet er nicht. Aber immerhin räumte er eine Mitschuld am öffentlichen Erscheinungsbild der Koalition ein, die Tatsache, dass einzelne Kabinettsmitglieder unabgestimmt mit Ideen vorpreschen: Die drei dafür Verantwortlichen hätten die Farben Rot, Grün und Gelb. „Ich bekenne mich zu meiner Mitschuld. Aber ich weiß leider noch nicht, wie ich es besser machen kann.“

Zumindest an den liberalen Korrekturwünschen für die Kindergrundsicherung will die FDP festhalten. Für das Vorhaben der Bundesfamilienministerin müssten 5000 zusätzliche Stellen geschaffen werden, rund 70.000 Arbeitnehmer würden mit dem Arbeiten aufhören, weil es sich nicht mehr lohne, sagte Lindner. Es sei nicht im Interesse des deutschen Volkes „ein schlechtes Gesetz“ zu verabschieden, Hauptsache, es sei „geräuschlos“ vereinbart worden: „Darüber müssen wir doch diskutieren.“

Kritik von zwei Experten

Die beiden eingeladenen Experten gingen Lindner vor allem wegen der Schuldenbremse an, die fessele den Staat: Man werde der nachkommenden Generation eines Tages Deutschland nicht als „Haus“, sondern als „Schrotthaufen“ hinterlassen, sagte Kristina Dunz vom Redaktionsnetzwerk Deutschlandv (RND): „Ihr hattet zwei Kriege und den Klimawandel. Was habt ihr damals eigentlich gemacht, wird man uns fragen: Und wir werden sagen, wir haben gespart!“ Der Ökonom Jens Südekum (Düsseldorf) warf Lindner einen Denkfehler vor, wenn der glaube, dass er Strukturreformen und einen Sparkurs kombinieren könne, man brauche auch einen Nachfrageschub. Führende Institute würden sich längst für eine Reform der Schuldenbremse aussprechen und hätten ihren Kurs geändert. Lindner warf Südekum vor, er spreche als „SPD-Mitglied“ und nicht als Wirtschaftsprofessor – also parteipolitisch.