Als die Sängerin Amy Winehouse 2011 starb, war die ganze Welt schon längere Zeit von Paparazzi mit Bildern ihres Niedergangs gefüttert worden. Auch der Dokumentarfilm „Amy“ geht nahe heran, aber er sucht den Menschen hinter dem Scheitern.

Stuttgart - Da ist diese Basstrommel, deren Pulswummern vom Fleck weg an schlaflose Kopfschmerznächte erinnert. Kurz lenkt ihr autoritäres „Bubb bu-bumm, bubb bu-bumm“ von der Stimme ab, die losnölt, aber dann dringt der keine Einwände duldende Trotz zu einem durch: nein, für eine Drogentherapie habe sie keine Zeit, keinesfalls trete sie keine an, verkündet Amy Winehouse auf ihrem größten Hit „Rehab“. Basstrommel und Verweigerung werden jetzt eins, die Musik selbst drückt aus, wie tief drin in Winehouse das sitzt, was sie auffressen, kaputt machen, auslöschen wird.

 

So jedenfalls hat man das empfunden, damals, als Bilder der Verfallenden um die Welt gingen: Clips von desaströsen Konzerten, Paparazzifotos einer verwüsteten Säuferin und Schnupferin, die Überlagerung eines Megastars mit Crackhurenklischees. Ein öffentliches Sterben war das, und die Musik des weißen, jüdischen Mädchens, das klang wie zwei oder drei afroamerikanische Soulköniginnen der Sechziger auf einmal, lieferte die lange Abschiedsparty zum Verfall von Körper und Seele, bis hin zum Tod 2011.

Privates aus der Jugendzeit

Früher oder später würde einer diesen Danse macabre auf die Leinwand bringen, so viel war klar. Getan hat es jetzt der britische Regisseur Asif Kapadia („Senna“), aber nicht als Spielfilm wie „Walk the Line“ über Johnny Cash, „Ray“ über Ray Charles oder „Get on up“ über James Brown, also nicht mit der Freiheit, sich Schlüsselszenen nach Belieben erfinden zu können. Kapadias „Amy“ ist ein Dokumentarfilm.

Aber dieser Dokumentarfilm kann uns trotz seiner Beschränkungen auch posthum noch erstaunlich private Momente eines Stars offenbaren. Denn die 1983 im Norden Londons geborene Winehouse ist im Zeitalter der Selbstdokumentation groß geworden, des fortlaufend geführten Bildtagebuchs von Freizeit und Schule, Cliquenspaß und Langeweile, Kummer und Liebe.

Dürfen wir denn hinsehen?

Noch sind nicht alle Clips so scharf, wie moderne Minikameras das erlauben, so spontan, wie Smartphones es zulassen: trotzdem bringt „Amy“ Szenen auf die Leinwand, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren. Wir sind etwa mittendrin in einem Mädelsnachmittag, und der Teenager Amy beginnt zu singen, mit einer Stimme, die damals schon schauern lässt.

Zwei Fragen regen sich da sofort. Die eine lautet: Dürfen wir da eigentlich hinschauen? So ganz sicher lässt sie sich nicht beantworten. Aber das Öffentlichmachen des Privaten lässt sich immerhin in einen Kontext rücken. Seit Langem schon verfährt der Kulturbetrieb mit dem Nachlass von Dichtern und anderen Künstlern exakt so, macht das Intimste öffentlich, fahndet nach zarten Regungen und schmutzigen Geheimnissen. Die Heimvideos von Amy Winehouse sind nicht privater als die Liebesbriefe von Mozart.

Aber sind diese Filmschnipsel überhaupt, drängt nun die zweite Frage heran, ganz ohne Hintergedanken der Veröffentlichung entstanden? Wie bei Briefen und Tagebüchern von einst können wir nicht sicher sein, ob Winehouse und ihre Freunde mit Blick auf eine Mit- und Nachwelt filmten. Ahnen können wir aber, dass wir uns diese Frage zum letzten Mal bei einem Megastar stellen. Nach der Jugendzeit von Winehouse hat Facebook uns allen eingebläut, das Leben sei ein konstantes multimediales Eigenmarketing.

Tornado der Erwartungen

In „Amy“ werden wir hin- und hergestoßen zwischen Paparazzi- und Innensicht von Amys Welt, aber die Desorientierung hilft uns, eine aus der Balance Geratene zwar gewiss nicht zu verstehen, aber nachsichtiger zu beurteilen. Dass sie an ihrem Ehemann Blake Fielder-Civil und an ihrem Vater festhielt, obwohl uns beide wie gnadenlose Ausbeuter vorkommen, wird so verständlicher: jeder Halt ist besser als der Tornado gieriger Erwartungen draußen.

Amys auffällige Tätowierungen und ihr Straßenstrich-Look erscheinen nun als Blickablenkungshäute, hinter denen Amy Winehouse sich vielleicht eine letzte Chance geben wollte, zu sich selbst zu finden.

Weg von der Eindeutigkeit

Es gibt rührende Momente, in denen das möglich scheint, in denen der fatalistische Befund, sie sei früh hoffnungslos entgleist, falsch wirkt. Dass etwa der Jazzsänger Tony Bennett, eines ihrer Idole, die Grammys verleiht – Amy erlebt das per Liveschaltung von London aus mit –, ist ihr wichtiger, als dass sie welche bekommt. Wenn sie später mit Bennett im Studio arbeitet, scheint jeder Weg wieder offen: „Amy“ holt uns weg von der Eindeutigkeit von „Rehab“ und befreit uns vom Zynismus. Wir stehen fassungslos da, dass dann doch alles so und nicht anders kam.

Amy. Großbritannien 2015. Regie: Asif Kapadia. Dokumentarfilm. 128 Minuten. Ohne Altersbeschränkung.