Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Hohner war nicht bang als Verfertiger in der Frühphase. Obwohl seine ersten Produkte keinesfalls auf den reinen Ton gestimmt waren und sich zwischen Tuttlingen und Villingen als unverkäuflich erwiesen, schickte er auf Anraten seiner Frau ein paar Exemplare zum Vetter Hänsle nach Kanada, wo sie „nit so hoakel si“ würden, wie Anna Hohner gemeint hatte – und wie recht sie behalten sollte. Analog zur Landnahme im Wilden Westen – augenblicklich sieht man Dean Martin vor sich, wie er in Howard Hawks’ Film „Rio Bravo“ das Lied „My Pony, my Rifle and Me“ singt und dazu Mundharmonika spielt – läuft der Export vor allem nach Nordamerika trotz hoher Einfuhrzölle auf großen Touren: 1911 zählt die Matth. Hohner AG 20 Fabriken und 2500 Arbeiter. Längst ist Trossingen die Stadt der Familie Hohner geworden und die Mundharmonika so etwas wie das Klavier des kleinen Mannes. Hohner und Koch (der mit seinem Partner Weiss Ende der zwanziger Jahre raubtierartig geschluckt wird) steigen zusätzlich ins Akkordeongeschäft ein.

 

Im Ersten Weltkrieg schließlich, längst haben die fünf Söhne Hohners das Erbe des Vaters aufgeteilt und gemehrt, wächst der Firma sogar noch ein fast mythischer Moment zu, der entsprechend für Reklame herhalten muss: An der Somme und in Flandern kämpft der Göppinger Hermann Weiss, dessen Schwabentreue, so der Name der Mundharmonika, stets in der linken Brusttasche steckt, und dementsprechend mit dem Korpus den Körper schützt, als eine Granate splittert. In der Ausstellung ist die Schwabentreue gewissermaßen als letzter Posten zu sehen, bevor der Parcours nach einem 90-Grad-Knick dazu übergeht, nun gezwungenermaßen auch wieder vom relativen Niedergang einer Gattung zu erzählen.

Überlegt hat Martin Häffner diesen und viele andere kleine Kniffe zusammen mit dem Ulmer Gestalter Gerhard Braun, der im Souterrain eines Teils des ehemaligen Hohner-Areals (die aktuelle Produktion mit immerhin noch mehr als hundert Beschäftigten ist ausgelagert und im Besitz eines taiwanesischen Investors) eine Menge an fantastischem Material neu zu strukturieren hatte: Das leuchtet und glänzt und funkelt und gleißt – Mundharmonikas en masse, Akkordeons im Quadrat, Musik überall und sehr viel Hintergrund. Denn nicht nur der Instrumentenliebhaber, sondern auch und vor allem der kritische (Musik-)Historiker kommt auf seine Kosten, denn da ist der gebürtige Heidelberger Martin Häffner, heute 57 Jahre alt, vor, der Ende der achtziger Jahre – seinerzeit als wissenschaftlicher Angestellter am Landesmuseum in Mannheim beschäftigt – bereits das erste Harmonikamuseum vor Ort aufbaute und später Leiter des Trägervereins wurde. Häffner ist der beste Cicerone, den man sich in einem Museum vorstellen kann (und man kann ihn glücklicherweise als Ausstellungsführer buchen). Noch in Jahrzehnten würde ihm nicht langweilig zwischen den Vitrinen, und wenn er sich etwas wünschen dürfte, dann wären es, „na ja“, sagt er, „vielleicht zehntausend Besucher im Jahr“. Dass Trossingen immer noch der „Nabel der Mundharmonikawelt“ sei, empfinden vor allem Amerikaner, die eine besondere Bindung zur Homebase Hohner unterhalten.

Der kulturelle Wandel trifft die Werke

Den Zweiten Weltkrieg überlebt die Firma Hohner in der Nazihochburg Trossingen (tonangebend war Fritz Kiehn, einer der führenden Männer im württembergischen Landesverband der NSDAP) – obwohl zeitweise nur noch Zünder für den Endsieg gefertigt wurden. Sie überlebt auch deshalb, weil der Faktor Unterhaltung für die Nazis wichtig war. Nach der Kapitulation aber heißt es in den Annoncen häufig: „Tausche Akkordeon gegen Milchziege.“

Nach den staatstragend pompös ausgerichteten Feiern zum siebzigsten Geburtstag von Ernst Hohner im Jahre 1956 trifft der kulturelle Wandel die Werke. Im Nachhinein nimmt es sich aus wie ein Menetekel: Als der Astronaut Walter Schirra 1965 mit der Gemini VI unterwegs ist, hat er – ohne das Wissen der Nasa in Houston – eine Little Lady von Hohner im Gepäck. Und so spielt er, kurz vor dem Wiedereintauchen in die Erdatmosphäre ein paar Takte „Jingle Bells, Jingle All The Way . . .“

Bei der Mundharmonika ist es, analog zur Maultrommel, die angerissene Metallzunge. Damit experimentiert man frühzeitig in Wien, wo das „Accordion“ patentiert wird, aber auch in England.  Fünf Standorte setzen sich durch: Trossingen und Knittlingen in Württemberg, Klingenthal in Sachsen und Graslitz und Haida in Böhmen. 1887 wird die Stimmzungenfräsmaschine patentiert. Massenfertigung ist möglich.

Das Klavier des kleinen Mannes

Hohner war nicht bang als Verfertiger in der Frühphase. Obwohl seine ersten Produkte keinesfalls auf den reinen Ton gestimmt waren und sich zwischen Tuttlingen und Villingen als unverkäuflich erwiesen, schickte er auf Anraten seiner Frau ein paar Exemplare zum Vetter Hänsle nach Kanada, wo sie „nit so hoakel si“ würden, wie Anna Hohner gemeint hatte – und wie recht sie behalten sollte. Analog zur Landnahme im Wilden Westen – augenblicklich sieht man Dean Martin vor sich, wie er in Howard Hawks’ Film „Rio Bravo“ das Lied „My Pony, my Rifle and Me“ singt und dazu Mundharmonika spielt – läuft der Export vor allem nach Nordamerika trotz hoher Einfuhrzölle auf großen Touren: 1911 zählt die Matth. Hohner AG 20 Fabriken und 2500 Arbeiter. Längst ist Trossingen die Stadt der Familie Hohner geworden und die Mundharmonika so etwas wie das Klavier des kleinen Mannes. Hohner und Koch (der mit seinem Partner Weiss Ende der zwanziger Jahre raubtierartig geschluckt wird) steigen zusätzlich ins Akkordeongeschäft ein.

Im Ersten Weltkrieg schließlich, längst haben die fünf Söhne Hohners das Erbe des Vaters aufgeteilt und gemehrt, wächst der Firma sogar noch ein fast mythischer Moment zu, der entsprechend für Reklame herhalten muss: An der Somme und in Flandern kämpft der Göppinger Hermann Weiss, dessen Schwabentreue, so der Name der Mundharmonika, stets in der linken Brusttasche steckt, und dementsprechend mit dem Korpus den Körper schützt, als eine Granate splittert. In der Ausstellung ist die Schwabentreue gewissermaßen als letzter Posten zu sehen, bevor der Parcours nach einem 90-Grad-Knick dazu übergeht, nun gezwungenermaßen auch wieder vom relativen Niedergang einer Gattung zu erzählen.

Überlegt hat Martin Häffner diesen und viele andere kleine Kniffe zusammen mit dem Ulmer Gestalter Gerhard Braun, der im Souterrain eines Teils des ehemaligen Hohner-Areals (die aktuelle Produktion mit immerhin noch mehr als hundert Beschäftigten ist ausgelagert und im Besitz eines taiwanesischen Investors) eine Menge an fantastischem Material neu zu strukturieren hatte: Das leuchtet und glänzt und funkelt und gleißt – Mundharmonikas en masse, Akkordeons im Quadrat, Musik überall und sehr viel Hintergrund. Denn nicht nur der Instrumentenliebhaber, sondern auch und vor allem der kritische (Musik-)Historiker kommt auf seine Kosten, denn da ist der gebürtige Heidelberger Martin Häffner, heute 57 Jahre alt, vor, der Ende der achtziger Jahre – seinerzeit als wissenschaftlicher Angestellter am Landesmuseum in Mannheim beschäftigt – bereits das erste Harmonikamuseum vor Ort aufbaute und später Leiter des Trägervereins wurde. Häffner ist der beste Cicerone, den man sich in einem Museum vorstellen kann (und man kann ihn glücklicherweise als Ausstellungsführer buchen). Noch in Jahrzehnten würde ihm nicht langweilig zwischen den Vitrinen, und wenn er sich etwas wünschen dürfte, dann wären es, „na ja“, sagt er, „vielleicht zehntausend Besucher im Jahr“. Dass Trossingen immer noch der „Nabel der Mundharmonikawelt“ sei, empfinden vor allem Amerikaner, die eine besondere Bindung zur Homebase Hohner unterhalten.

Der kulturelle Wandel trifft die Werke

Den Zweiten Weltkrieg überlebt die Firma Hohner in der Nazihochburg Trossingen (tonangebend war Fritz Kiehn, einer der führenden Männer im württembergischen Landesverband der NSDAP) – obwohl zeitweise nur noch Zünder für den Endsieg gefertigt wurden. Sie überlebt auch deshalb, weil der Faktor Unterhaltung für die Nazis wichtig war. Nach der Kapitulation aber heißt es in den Annoncen häufig: „Tausche Akkordeon gegen Milchziege.“

Nach den staatstragend pompös ausgerichteten Feiern zum siebzigsten Geburtstag von Ernst Hohner im Jahre 1956 trifft der kulturelle Wandel die Werke. Im Nachhinein nimmt es sich aus wie ein Menetekel: Als der Astronaut Walter Schirra 1965 mit der Gemini VI unterwegs ist, hat er – ohne das Wissen der Nasa in Houston – eine Little Lady von Hohner im Gepäck. Und so spielt er, kurz vor dem Wiedereintauchen in die Erdatmosphäre ein paar Takte „Jingle Bells, Jingle All The Way . . .“

Da ist die Mundharmonika schon noch, aber eben auch nicht mehr selbstverständlich von dieser Welt, paradoxerweise obwohl ihr in der Rockmusik, angefangen von Bob Dylans einschneidenden Tönen in „Don’t Think Twice, It’s Allright“, gehuldigt wird – und namentlich im Blues. Dylan im Übrigen spielt bis heute das Erfolgsmodell von 1896: Marine Band, ein wahrer Markenartikel. Massenkompatibel indes war er nicht mehr, zu sehr hatten sich die Menschen schon darauf eingerichtet, Musik vor allem als technisch reproduzierbar Ware zur Verfügung zu haben, und auf einmal klingen die alten Sprüche – in der Ausstellung immer sehr passend entlang des Wegs zitiert – schon auch ein bisschen nach gestern: „Ja auch der Lissaboner / sie alle spielen Hohner.“

Eines aber hat sich bis heute nicht geändert: Immer noch passt eine Harmonika, die ein Orchester ersetzen kann, in eine Hosentasche.