Die grün-schwarze Koalition will ein Bürgerforum, das über eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium berät. Dabei war der Ministerpräsident bisher ganz gegen das G9 eingestellt.

Einknicken? Unsinn! Ein Winfried Kretschmann knickt nicht ein! Taktlos, wenn nicht respektlos empfand der Ministerpräsident die Journalistenfrage, ob er beim neunjährigen Gymnasium jetzt doch nachgebe. Die Kabinettssitzung war gerade zu Ende gegangen, Kretschmann stellte sich wie jeden Dienstag der Presse. Diese hatte zuvor per Pressemitteilung Kenntnis erhalten, dass die grün-schwarze Koalition ein Bürgerforum zur Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium einrichten werde.

 

Dabei gilt der Regierungschef als Anhänger des achtjährigen Wegs zum Abitur. Hunderte Mal hat er das schon beteuert. Hingegen wackelt sein Koalitionspartner, die CDU, bedenklich – insbesondere deren Fraktionschef Manuel Hagel, welchen die Aktivitäten der G9-Anhänger nicht unbeeindruckt lassen. Der Plan: 40 bis 60 Bürgerinnen und Bürger werden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, um unter der Obhut – und womöglich auch fürsorglichen Lenkung – der Landesregierung die Gymnasialfrage zu bearbeiten. Kretschmann legte Wert auf die Feststellung, dass dabei nicht nur Eltern von Gymnasiasten und auch nicht nur Abiturienten Berücksichtigung fänden. So richtig losgehen soll es nach den Sommerferien.

Weiches Format der Bürgerbeteiligung

Die Landesregierung hat schon einige Erfahrung mit diesem, wenn man so will: weichen Format der Bürgerbeteiligung. Weitgehend im Verborgenen wirkte das Bürgerforum zur Coronapandemie. Das Thema erwies sich als entschieden zu weit gefasst. Beachtung fand hingegen das positive Votum eines Bürgerforums zur Sanierung der Württembergischen Staatstheater – ein Sujet mit Lokalkolorit und enger Themenbindung. Das erste Bürgerforum hatte allerdings der Landtag initiiert. Dabei ging es um die Altersversorgung der Abgeordneten.

Auslöser für Kretschmanns Nichteinknicken, das vielleicht als Seitwärtsbewegung gedeutet werden kann, ist eine Elterninitiative, die Unterschriften für einen Volksantrag zur Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium sammelt. Der Volksantrag fand erst in der Regierungszeit Kretschmanns – Ende 2015 – seinen Weg in die Verfassung. Mit der Unterschrift von 0,5 Prozent der Wahlberechtigten (knapp 40 000 Personen) kann das Parlament verpflichtet werden, sich mit einer Vorlage zu beschäftigen. Wird das Ansinnen aus der Bürgerschaft abgelehnt, eröffnet sich der Weg zu einem Bürgerbegehren. Ein erfolgreiches Bürgerbegehren mündet in eine Volksabstimmung. Das ist dann die harte Fassung der Bürgerbeteiligung: direkte Demokratie. Die Bürgerforen lassen sich unter dem Begriff der „deliberativen Demokratie“ im Sinne des Vernunft-Philosophen Jürgen Habermas fassen. Dort obsiegt in der Idealvorstellung allein schon die „Kraft des besseren Arguments“.

Kretschmann konzentriert sich auf Grundschule und Vorschule

Bestimmend für Kretschmanns taktischen Schwenk, der kein Einknicken ist, mag auch seine Erkenntnis gewesen sein: „Die Debatte gibt es einfach, und der müssen wir uns stellen.“ Eine „deutliche Mehrheit“ wolle weg vom achtjährigen Gymnasium. Allerdings ist offensichtlich, dass die bildungspolitischen Schwächen des Landes weniger an den Gymnasien zu suchen sind. Das ist Kretschmann bewusst, weshalb er sagte, sein Schwerpunkt liege bei den Grundschulen und den Kitas. Tatsächlich entscheidet sich dort, ob ein Kind jene Fertigkeiten erlangt, die es für den Bildungsweg ertüchtigen.

G9 gibt es noch an 44 staatlichen Schulen und an den beruflichen Gymnasien. Eine allgemeine Rückkehr zum Neunjährigen würde nach früheren Aussagen des Grünen-Fraktionschefs Andreas Schwarz 1400 zusätzliche Lehrerstellen erfordern. Allerdings nur dann, wenn Kretschmann einknickt. Die Letztentscheidung, sagt Kretschmann, liege bei Parlament und Regierung.