Martin Tschepe radelt weiter den Mauerradweg entlang. Im Harz trifft er diesseits der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze DDR-Nostalgiker – und auf der anderen Seite Menschen, die sich noch heute an den Ansturm der Ostdeutschen nach der Wende erinnern können.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Ilsenburg - Ein Rentner, der mit seiner Frau und dem Enkelsohn auf Urlaub ist, erzählt, dass er schon immer am aller liebsten im Harz Urlaub gemacht hat - und an der Ostsee. Zu DDR-Zeiten und auch heute noch. Einmal sei er in Spanien gewesen, das war nix. „Alles zugebaut an der Küste.“ Will er etwa die DDR zurück haben?

 

Die Antwort bleibt der Mann, geschätzt siebzig, schuldig, er sagt: „Was soll die Frage?“

Welcher Staat war besser die alte DDR oder die neue Bundesrepublik? „Man kann doch Äpfel nicht mit Birnen vergleichen.“

Man könnte aber sagen, ob man lieber Äpfel mag oder lieber Birnen mag.

Er bleibt die Auskunft schuldig, erzählt dafür von früher. „In der DDR war manches besser.“ Aha, was denn? „Alle waren abgesichert, alle hatten Arbeit, auch der Säufer.“ Pause. „Und Kriminalität gab es auch viel weniger.“ Okay, wenn man die Staatskriminalität mal weglässt, dann könnte das stimmen.

„Wer hier keine Arbeit findet ...“

Der junge Mann, der mitten in Ilsenburg ein Radgeschäft betreibt und geführte Biketouren anbietet, sagt, die Geschäfte liefen super. Die Touristen rennen ihm förmlich die Bude ein. Er kooperiert mit der Wirtin des Alten Ilsenburger Hofs, wo der Rentner, dessen Frau und der Bub abgestiegen sind. Ilsenburg boomt, sagt der Radverkäufer. „Wer hier keine Arbeit findet, der ist selber schuld.“

Gegen 9 Uhr beginnt meine Biketour. Sie wird zur wahren Herausforderung, ein Härtetest wegen der supersteilen Schotterpisten. Auch für die Menschen in der DDR, die unmittelbar an der innerdeutschen Grenze lebten, war das Leben eine echte Herausforderung - täglich, rund um die Uhr. Im Grenzgebiet durfte man sich nicht frei bewegen oder jederzeit Gäste empfangen. Dafür, hat ein Rentner mir gestern beim Essen erzählt, habe man aber einen Lohnaufschlag von 15 Prozent bekommen. Immerhin. Und man habe noch andere Vorteile gehabt, erklärte er augenzwinkernd. „Man hat nie ungebetenen Besuch bekommen“, denn wer vorbeischauen wollte, der musste lange vorher eine behördliche Genehmigung einholen.

Sorge und Elend

Und weiter geht’s den Berg hoch, im Schneckentempo, trotz E-Unterstützung des modernen Transportrads. Nach geschätzt zwei Stunden Ankunft in Elend. Der Name das Orts ist ganz offenkundig Programm. Nix los hier. Ein Ehepaar aus Bonn, das hier Urlaub macht. Er erklärt sich den Namen historisch: „Vielleicht wegen der Pest?“ Vielleicht. Zu DDR-Zeiten hat der Name wohl noch besser gepasst als heute. Wenig später der nächst Ort mit einen schrägen Namen: Sorge.

Der Brocken, der weit und breit höchste Gipfel, liegt immer noch im Nebel. Man könnte hochfahren - mit dem Rad oder mit einen alten Dampflok. Alle paar Minuten ist das Schnauben des Zugs zu hören.

Westlich von Sorge ist das Grenzmuseum „Ring der Erinnerung“. Ein DDR-Wachturm, Stacheldraht, Mauerelement, ein mehrere Kilometer langer alter Kolonnenweg. Kinder spielen auf dem Weg und am Zaun. Ihre Eltern haben sie hergeschleppt. Für die Steppke sind die Erzählungen vom geteilten Deutschland Geschichten aus einer ganz anderen Zeit, die Storys hören sich für Kinder vermutlich so ähnlich an wie Urgroßmutters Erinnerungen an der Weltkrieg.

Die Straßen neblig von Trabi-Abgasen

Ein paar Dörfer weiter, wieder im alten Westdeutschland, liegt Tettenborn. In dem Ort haben engagierte Bürger unmittelbar nach der Wende das Grenzlandmuseum eröffnet, mit ungezählten Exponaten aus dem untergegangenen Ostdeutschland. Außen am Gebäude hängt ein riesiges DDR-Staatswappen. „Unter diesem Symbol sind die Menschenrechte 40 Jahre lang missachtet worden“, ist auf einen Tafel zu lesen. Innen ist unter anderem eine komplett ausgestattete Führungsstelle der DDR-Grenztruppen zu sehen.

Ankunft am Etappenziel: Duderstadt in Niedersachsen. Die freundliche Dame bei Touristinfo im Rathaus erzählt, dass vor der Wende deutlich weniger los gewesen sei in der Stadt. Sie sei direkt an der Grenze aufgewachsen, quasi im Niemandsland. Unmittelbar nach dem Fall der Mauer seien die ostdeutschen dann zu tausenden mit ihren Trabis in Duderstadt eingefallen. Allein am ersten Tag nach der Öffnung seien rund 6000 DDR-Bürger zu Besuch gekommen - bis Ende 1989, heißt es, hätten fast eine Dreiviertel Million Ostdeutsche in Duderstadt vorbeigeschaut. Alle Straßen seien nebelig gewesen von den Abgasen der DDR-Autos. Manchen Duderstädtern war das wohl ein bisschen zu viel. Die Dame im Touristinfo sagt aber auch: Duderstadt habe von der Wende enorm profitiert.

Der StZ-Autor Martin Tschepe radelt anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Mauerfalls den Mauerradweg entlang. Die Berichte der bisherigen Etappen finden Sie hier.