Unser Reporter Martin Tschepe ist am Abend in Vacha angekommen, einem hübschen Städtchen ganz im Westen von Thüringen, direkt an der alten Grenze.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Vacha - Unser Reporter Martin Tschepe ist am Abend in Vacha angekommen, einem hübschen Städtchen ganz im Westen von Thüringen, direkt an der alten Grenze. Im Hotel Adler hat er den Besitzer kennengelernt, der seit Anfang der neunziger Jahre zurück ist. Das Traditionshaus war mit seiner gut 200-jährigen Geschichte in der DDR enteignet worden.

 

Duderstadt, an diesem Morgen eines verregneten Herbsttags. Neben dem Wiedervereinigungsbrunnen - ein Mann und eine Frau aus Bronze - steht eine Frau, sie dürfte Anfang dreißig sein und erzählt von den Tagen nach dem Mauerfall. "Für uns Kinder war das damals ein einmaliges Schauspiel." So viele fremde Menschen mit so ulkig kleinen, stinkenden Autos in der Stadt.

Die Brunnenfiguren wurden 1994 eingeweiht. Die bronzene Frau und den bronzene Mann sind von einem Wassergraben getrennt. Was will uns der Künstler sagen? Dass noch längst nicht alle Gräben zwischen Ost und West zugeschüttet sind? Vielleicht. Aber das Werk ist ja schon zwanzig Jahre alt.

Wer den Eisernen-Vorhang-Radweg erkundet, der begegnet unweigerlich der Historie seines Landes. Indes längst nicht nur der jüngeren Historie. In der schmuck herausgeputzten Fachwerkstadt Duderstadt - der ersten von zwei imposanten Fachwerkstädten - stolpert der Gast vielerorts über Anekdoten und Fakten zur Stadt. Auch an diesem geschichtsträchtigen 7. Oktober, an dem vor genau 25 Jahren die DDR-Führung unbeirrt den 40. Geburtstag der DDR feierte. Im Hotel Budapest, das eine Frau aus Ungarn und ihr Sohn seit drei Jahrzehnten mitten in der Stadt betreiben, liegen hübsch aufgemachte Informationsbroschüren der Kommune aus. Darin steht zum Beispiel, dass Duderstadt im Mittelalter eine ganz bedeutende Stadt gewesen sei, so groß wie Hamburg: beide Städte hatten um 1400 rund 4500 Einwohner.  Heute zählt Duderstadt knapp 25.000 Einwohner. Die Fachwerkfassaden der Häuser im Zentrum sind fein herausgeputzt. Die Menschen leben gerne hier, sagt ein Mann auf dem Marktplatz.

Radeln bei Mistwetter

Die Radetappe beginnt weniger erfreulich, mit Mistwetter, Gegenwind und einem Sturz vom Bike. Jetzt ist das Rad auf der linken Seite ein bisschen gezeichnet - und der linke Oberschenkel ist es auch. Nicht so schlimm. Weiterfahren. Erster Halt - wie könnte es anders sein: Wieder mal bei einem Grenzlandmuseum. Vielerorts entlang der alten Grenze gibt es solche Gedenkstätten. Wenn man einigermaßen voran kommen will, dann kann man sie unmöglich alle besuchen. Südlich von Duderstadt im Grenzlandmuseum Eichsfeld sind unter anderem eine DDR-Kraftfahrzeugsperre und ein westdeutscher Hubschrauber vom Bundesgrenzschutz zu sehen. 

Der ehemalige Grenzübergang ganz in der Nähe des Museums wurde am 21. Januar 1990 zu einem einmaligen Schauspielort. Um der letzten DDR-Regierung zu zeigen, was passieren wird, wenn sie weiterhin so zögerlich agieren sollte wie bislang, wenn nicht bald freie Wahlen stattfinden würden, dann - ja dann: Würden die Menschen ihre Koffer packen und abhauen. An diesem Wintertag 1990 gingen mehrere zehntausend DDR-Bürger mit Koffern über die Grenze. Sie kamen zurück.

Die Tour führt vorbei am Notaufnahmelager Frieland, in dem viele DDR-Flüchtlinge unterkamen. Wer 1989 intensiv die Nachrichten gelesen hat, dem dürfte Friedland ein Begriff sein.     

Was ist denn das für ein komischer Berg?

An diesem verregneten Tag schummele ich ein klein bisschen, ich nehme teilsweise die Bundesstraße 27 - und nicht den alten DDR-Kolonnenweg. Die B 27 ist im Grenzgebiet von Niedersachsen und Thüringen nicht überlastet, man kann sie gut mit dem Rad befahren. Ganz anders als in der Region Stuttgart, wo die B 27 fast immer rappelvoll ist mit Autos. Die vom Regen nassen Kolonnenwege wären vermutlich weit schwieriger zu befahren als diese Bundesstraße mit dem oft breiten Seitenstreifen. Trotz des Schwindels überquere ich auch an diesem Tag mehrmals die Grenze. 

Später führt der Grenzradweg entlang der Werra. Der Fluss wurde zu DDR-Zeiten mit Natriumchlorid verseucht. Die Werra sieht zwar schön aus, wie sie sich idyllisch durch die Landschaft schlängelt - zu den saubersten Flüssen Deutschlands dürfte sie aber immer noch nicht zählen. Ein paar Kilometer weiter der nächste Naturfrevel. Was ist denn das bitte für ein komischer Berg? Die Fußgängerin im hessischen Widderhausen sagt: "Der Monte Kali, das ist unser Werk." Die DDR habe mit dem künstlich aufgeschütteten Berg nichts zu tun.

Ankunft am Zielort dieser Etappe, Vacha, die zweite super schöne Fachwerkstadt an diese Tag. Die nur rund 4000 Einwohner zählende Stadt lag direkt an der innerdeutschen Grenze. Fast alle historischen Fachwerkbauten sind erhalten, viele top renoviert. Zum Beispiel das Traditionshotel Adler am Marktplatz. Der Besitzer erzählt, dass das Haus vor rund 200 Jahren von seiner Familie eröffnet worden ist - es war immer im Familienbesitz, mit einer Unterbrechung von Anfang der fünfziger- bis Anfang der neunziger Jahre. Vor rund 65 Jahren sei seiner Oma von den DDR-Behörden mitgeteilt worden, dass sie packen und am nächsten Tag abreisen sollte. Die Familie ging in den Westen. Fortan wurde das imposante Haus als Internat und öffentliches Gebäude, etwa als Wahlbüro, verwendet. Als die Mauer fiel, meldete die Familie ihren Besitzanspruch an. Ein paar Jahre später war die Sache durch - der altehrwürdige Adler ist wieder ein Hotel im Familienbesitz.