Unser Reporter hat auf seiner Radtour einen ruhigen Tag eingelegt. Beim Start in Hornburg hat er zwei Radler aus der Schweiz getroffen, die begeistert sind von den Deutschen - in Ost und West. Auch am Zielort Ilsenburg findet er Zufriedene.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Das Ehepaar aus der Schweiz ist schon seit vielen Tagen unterwegs - mit den Rädern. Die beiden sind in Kiel gestartet und reisen gen Süden, immer an der alten innerdeutschen Grenze entlang. „Wir haben überall nur nette Leute getroffen", sagt sie. „Immer wenn wir die Landkarte rausgeholt und aufgeklappt haben, dann sind wir sofort angesprochen worden - ob wir Hilfe brauchen", erzählt er. Die Menschen seien sehr hilfsbereit, in Ost wie West. Gar keine Unterschiede zwischen den Leuten in der alten BRD und der ehemaligen DDR? "Eigentlich nicht", antwortet sie. Und dann schwingen sich die beiden auf die Räder und brausen davon.

 

Mein Reise führt mich unmittelbar nach dem Start in Hornburg mal wieder über die Grenze - wieder nach Sachsen-Anhalt. Bei Lochtum steht das Mahnmal „Eiserner Vorhang". Als die Grenze in den neunziger Jahren wieder offen war, erinnerte nur noch der alte DDR-Kolonnenweg an den Eisernen Vorhang. Also schuf der Architekt Klaus Christian Wenzel das mehrere Meter hohe Denkmal aus Stahl. Beeindruckend.

Nach geschätzt 25 Kilometern empfängt ein riesiges Schild alle aus Norden kommenden Reisenden:  „Willkommen im Nationalpark Harz“. Der Nationalpark ist ein Schutzgebiet, das in Niedersachsen und in Sachsen-Anhalt liegt, eine nur mäßig besiedelte Waldregion in Deutschland. Die Gäste sind seit der Vereinigung einerseits zwar mitten in Deutschland, aber gefühlt trotzdem in der tiefsten Provinz. 

Eine ost-westdeutsche Erfolgsgeschichte

Ein längerer Aufenthalt ist eigentlich Pflicht. Zum Beispiel in Ilsenburg. Man könnte auf den Brocken steigen, eine Tagestour durch das llsetal machen, spazieren gehen, und und und. Die Chefin des Hotels Alt Ilsenburger Hof hat jede Menge Tipps parat. Das Kloster besichtigen, mit dem Ilsetaler, einem Bus, die Gegend erkunden - etwa Wernigerode oder Drei Annen Hohe. Sie hat ein Programm für eine ganze Woche in petto.

Sie und ihr Mann haben vor zehn Jahren rüber gemacht - von West nach Ost, von Paderborn nach Ilsenburg. Zunächst die Alte Nagelschmiede übernommen und für viel Geld in einen schönes Ausflugslokal umbauen lassen. Später haben sie das Hotel gekauft. Und das alles nach eigenen Angaben nie bereut. Ganz im Gegenteil. Ein Großteil der Verwandtschaft sei ebenfalls nach Ilsenburg gezogen und arbeite mit im Hotel beziehungsweise in der Wirtschaft. Das Geschäft laufe „von Jahr zu Jahr besser“. Über das lange Wochenende mit dem Einheitsfeiertag sei die Hütte immer rappel voll gewesen. Der Alte Ilsenburger Hof ist eine ost-westdeutsche Erfolgsgeschichte. Die Gäste kämen „von fast überall her“, die meisten aber immer noch aus den östlichen Bundesländern. 

Alle sind zufrieden

Es wird Abend in Ilsenburg. Eine ältere Dame geht spazieren. Sie erzählt von früher: In Ilsenburg habe einst ihre Mutter gewohnt. Waren die Häuser damals schon so farbenfroh saniert wie heute? Ach was. Damals, sagt die 85-jährige Frau, die seit ein paar Jahren in Ilsenburg wohnt, „war hier alles grau“. Im Altenheim im Ort lebten heute viele Bewohner aus dem Westen, zum Beispiel aus Goslar und aus Braunschweig, "und alle sind zufrieden".

Ein paar Schritte weiter steht ein Ehepaar vor einem Schaukasten und liest die Anzeigen eines Vermieters. Die Neubauwohnung mit drei Zimmern soll warm knapp 1100 Euro kosten. Ein stolzer Preis für ein Provinzstädtchen. Doch der Mann, Jahrgang 1945, erklärt, das sei ein normaler Preis in Ilsenburg. „Wir haben viel Industrie hier, zum Beispiel Thyssen, und den Tourismus.“  Der Sohn, ein Ingenieur, habe früher im Westen gearbeitet. Jetzt sei er wieder zurück in Ilsenburg. „Wir sind sehr zufrieden hier“, sagt der Rentner. 

Zurück im Hotel. Die Chefin erzählt, dass hinter dem Gebäude kleine Ferienhäuschen, die einst dem DDR-Gewerkschaftsbunds gehört haben, vor sich hin rotten. Eine Stippvisite. Die meisten Eingänge und Fenster sind eingeschlagen. Überall wuchert Grünzeug. Das Areal direkt an einem kleinen See hat wahrlich schon bessere Zeiten erlebt. Es soll demnächst abgerissen werden. Keine schlechte Idee. Vielleicht sollte jemand von der Stadtverwaltung aber ganz schnell mal vorbei schauen. Man erzählt sich im Ort, dass in einem der Gebäude kurz nach der Wende Jugendliche gehaust hätten. Sie haben an die  Wänden riesige Hakenkreuze, SS-Runen und „Club 88" gemalt. Die 88 steht für zweimal den achten Buchstaben in Alphabet: HH - Heil Hitler. Man möchte dem Herrn Bürgermeister zurufen: bitte entfernen.