Während die Truppen an der Front mit hohem Aufwand versorgt werden, leiden die Frauen und Kinder in Deutschland unter der Ernährungslage. Auch in Stuttgart fehlt es den Menschen an vielem.

Stuttgart - Im Oktober 1916 stellt sich die deutsche Bevölkerung auf den dritten Winter im Krieg ein. Es wird der bisher härteste werden. An der Front werden die Soldaten mit Gulaschkanonen versorgt, in der Heimat regieren schon seit längerem der Mangel und der Hunger. Was die Propaganda an täglichen Siegesmeldungen von den Schlachtfeldern liefert, interessiert vielen Menschen kaum mehr. Wichtiger ist, was die Geschäfte in ihre Auslagen stellen und was auf den Wochenmärkten angeboten wird. Vor den Läden stehen sich die Menschen oft in langen Schlangen die Beine in den Bauch. Die Berliner Schnauze findet auch dafür einen ironischen Begriff: Polonaise.

 

Der Hunger hat die Menschen im Griff , und er spielt auch in den Briefen eine Rolle, die sich Elisabeth und Adolf Mann schreiben. Ob sie in der Heimat bei den Lebensmitteln schon so stark eingeschränkt seien?“ fragt Mann bereits im Frühjahr 1915 und fügt hinzu: „Dass Du das Kartoffelbrot nicht ertragen kannst, ist mir arg.“ Adolf Mann bittet seine Daisy, ihm deshalb keine Lebensmittel mehr an die Front zu schicken. Seine Kost sei zwar „über jedes Lob erhaben“, doch er hungere nicht.

In Stuttgart herrscht Mangelwirtschaft auf dem Markt

Die „Care-Pakete“ erreichen die Soldaten vor allem in den ersten Kriegsmonaten, als die Versorgung in der Heimat noch funktioniert. Für die tausenden von Päckchen findet sich ein neuer Begriff, der mit dem Ersten Weltkrieg genauso verbunden wird, wie der Schützengraben und der Heldentod: „Liebesgaben“ nennen die Menschen die Pakete, rasch greifen die Zeitungen den Begriff auf. Doch die Hilfslieferungen brauchen die Frauen, Alten und die Kinder bald selbst nötiger als die Männer an der Front.

Wenn Elisabeth Mann auf dem Stuttgarter Wochenmarkt einkauft, fehlen viele Gemüse- und Obstsorten, die früher selbstverständlich zum Angebot gehörten. Nur an Äpfeln gebe es keinen Mangel, schreibt das „Stuttgarter Neue Tagblatt“ im Sommer 1916, doch Birnen, Zwetschgen und Preiselbeeren suche man in diesen tagen auf dem Schillerplatz vergeblich. „Wenn nicht mehr Ware von außen zugeführt wird, veröden unsere Märkte in den begehrtesten Obstsorten.“

Für die deutsche Zivilbevölkerung geht es vor allem in den Kriegswintern nur noch ums Überleben. Im Frühjahr 1916 kommt es in Mannheim zu Hungerprotesten. Immer wieder werden Lebensmittel mit Inhaltsstoffen gestreckt, die eigentlich nicht auf der Zutatenliste stehen. So sieht sich der Württembergische Landtag genötigt, Ende Juli den „Schwäbischen Spätzlesantrag“ zu beschließen: Weizenmehl dürfe demnach nicht weniger als 20 Prozent Weizen enthalten.

Suppenküchen helfen in der Not

Dabei trifft der Krieg die deutsche Zivilbevölkerung meist härter als die englische oder französische. Im Kaiserreich sinkt die Agrarproduktion, weil viele Bauern als Soldaten kämpfen. Zudem schneidet die Seeblockade der Alliierten das Land von der Versorgung ab. Die französische Historikerin Anne Duménil beschreibt die Not der Menschen: Schon wenige Monate nach Kriegsbeginn verringert sich die durchschnittliche Nahrungsmenge in Deutschland um ein Viertel – die Verknappung führt „zu einer drastischen Verschlechterung des Gesundheitszustands“. Infolgedessen erhöht sich die Kindersterblichkeit. „Insgesamt sollen im Deutschen Reich 750 000 Zivilisten verhungert oder an den Folgen der Mangelernährung gestorben sein“, schätzt Anne Duménil.

Im Winter 1916/17 spitzt sich in Deutschland die Versorgungskrise zu. In den Großstädten versorgen Suppenküchen die Hungernden, die unter einem Kälteeinbruch leiden. Weil es an fast allem fehlt, macht die Kohlrübe in Kochbüchern und auf dem Speiseplan Karriere. In Stuttgart gibt es deshalb: Steckrübenbrot, Steckrübenpudding und Steckrübenkoteletts. Wieder wird ein Kriegswort geboren: der Steckrübenwinter.

Stuttgart - eine Stadt im Notbetrieb


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