In Belgien, am 1. Juni 1918: Der junge Soldat ist verzweifelt: Seine Frau erwartet in Stuttgart das erste gemeinsame Kind, doch die in Bedrängnis geratene Armee verweigert ihm den Heimaturlaub.

Stuttgart - Der 31. Mai und 1. Juni wird zeitlebens eine der allerbittersten Stationen auf unserer Liebe Leidensweg sein. Wie ich gestern endlich Künlen traf, war er unvergleichlich viel entgegenkommender und teilnehmender als jemals Ellrichshausen, ich weiß auch, dass ihn unsere Unterredung so sehr erregte, dass er sich noch lange danach damit beschäftigte und einen Ausweg suchte.

 

Aber er sagte, er könne es unmöglich verantworten, mich 2mal wegzulassen, und auch einen Normalurlaub könne er nicht befürworten, da ohne allerdringendsten Fall es unmöglich sei, ein ganzes Offizierskorps zum 2. Mal zu übergehen, denn es sei kaum ein Herr da, dessen letzter Urlaub nicht mit meinem vorletzten ungefähr gleichzeitig sei. Das einzige, was er tun könne, sei ein Etappenurlaub, da würde er dann allerdings tun, was er nur verantworten könne, zunächst einmal wolle er mir 6 Tage ausschließlich Reise geben, und wenn sich dann etwa die Geburt verzögere, könne man sich ja telegrafisch auf dem Laufenden halten und schließlich noch den einen oder anderen Tag zugeben.

Herz, ich habe alles versucht, wie ein Verzweifelter, alle Gegengründe und alles vorgebracht. Er sagte: „Sie müssen eben jetzt dafür bezahlen, dass Sie beim Depot sind. An der Front ist die Sache viel zwangloser. Goldlieb, wie ich sah, dass nichts anderes zu erreichen war, verlor ich in der Erregung, noch eh ich mich verabschieden konnte, alle Gewalt über mich und bekam einen mir ganz furchtbaren Weinkrampf.

Es war mir schrecklich – und doch glaube ich, dass auch Künlen unmittelbar erkannte, dass es eine physische und Nervensache war. Mir selber ist es zum 1. Mal in meinem Leben passiert und ist mir jetzt noch bei meiner ganzen Natur ganz rätselhaft, umso mehr, als ich sonst in den Nerven sicher auf der Höhe bin.

Begleitend zur Serie gibt es die Geschichte von Elisabeth und Adolf Mann auch als Hörbuch.

Was zur gleichen Zeit passiert

Was zur gleichen Zeit passiert

Der Komponist Paul Hindemith ist mit seiner Einheit an der Westfront stationiert. Ende Mai schreibt er aus dem französischen Fleurbaix. Dort bestreitet der Militärmusiker nachmittags noch eine Probe, kurz darauf wird eine nahe gelegene Munitionskolonne von acht Bomben getroffen. „Ein entsetzlicher Anblick“, schreibt Hindemith, „Blut, durchlöcherte Körper, Hirn, ein abgerissener Pferdekopf, zersplitterte Knochen, Furchtbar!“ Wie gemein und gleichgültig man angesichts des Grauens werde!