Mazarine Pingeot hat ihren Vater nie in der Öffentlichkeit Papa genannt und ihn nicht umarmt. Als uneheliche Tochter der französischen Staatspräsidenten François Mitterrand stand ihr das nicht zu. Aber nun hat die 38-Jährige ein Buch geschrieben.

Paris - Sie ist ein braves Mädchen gewesen. Mazarine Pingeot hat ihrem Vater keine Schande gemacht. Sie hat ihn in der Öffentlichkeit nicht Papa genannt, ihn nicht freudig umarmt, sich nicht an ihn geschmiegt. Sie hat früh begriffen: Als uneheliche Tochter der französischen Staatspräsidenten steht ihr das nicht zu. Die Beziehung musste geheim bleiben. Und so hat die kleine Mazarine die Zähne zusammengebissen, die Lippen aufeinander gepresst, wenn sie François Mitterrand im Fernsehen sah. Freunde, Mitschüler applaudierten dem Präsidenten oder beschimpften ihn. Sie schwieg. „Vater unbekannt“ stand in ihrer Geburtsurkunde. Und so sollte es bleiben.

 

Und die große Mazarine, die an einer Pariser Elitehochschule Philosophie studiert hat? Gestern hat sie 38. Geburtstag gefeiert. Kurz vor dem 20. hatten Paparazzi von „Paris Match“ sie mit dem Vater aufgespürt und abgelichtet. Das Geheimnis war gelüftet. Gut ein Jahr später stand sie dann mit der Mutter, Anne Pingeot, Konservatorin am Pariser Orsay-Museum, und der von Danielle Mitterrand angeführten offiziellen Familie des Präsidenten an dessen Grab. Im Januar 1996 war das gewesen – lange her also. Aber offenbar nicht lange genug. Nicht so lange jedenfalls, als dass sich dieses Gefühl, nicht vorzeigbar zu sein, verflüchtigt hätte.

Klares Zeugnis über die Verletzungen in der Kindheit

Aber eines hat sich geändert. Als Erwachsene macht Mazarine Pingeot ihrem Herzen Luft. Die Mutter dreier Kinder geht an die Öffentlichkeit, sie spricht in Rundfunk und Fernsehen über jene Jahre, sie schreibt Bücher. Das neueste trägt im Titel, was sie damals war und nie mehr sein möchte: „Braver kleiner Soldat“, heißt es. Sie klagt darin nicht an. Sie klagt nicht einmal. Aber die Nonchalance, mit der sie schildert, was sie erlebt hat, legt von den Verletzungen der Kindheit und Jugend klarer Zeugnis ab als jedes Lamento.

Abends habe sie einen Vater gehabt, den man anfassen, mit dem man essen, lachen konnte, schreibt sie da etwa. Tagsüber sei er dann ein anderer Mensch geworden, und sie habe keinen Vater mehr gehabt. Nicht, dass ihre Kindheit nur grau und düster gewesen wäre. Auch wenn Mitterrand öffentlich nicht zu ihr stand: Er liebte sie. Da ist sich die Tochter ganz sicher. Auch gelang es dem Mädchen manchmal, Verleugnung und Versteckspiel Glücksmomente abzugewinnen. Sie sagte sich dann, dass sie dem Vater ganz besonders kostbar sein müsse, ein Schatz, den man am besten verstecke. Aber prägender war das Gefühl, verlassen, verraten worden zu sein. Als sie sich als kleines Mädchen einmal versehentlich in der Toilette eingeschlossen hatte, war es ganz besonders heftig über sie gekommen. Sie habe zwei Stunden lang geweint, schreibt sie, gepackt von „abgrundtiefer Angst vor Einsamkeit“.

War sie zu feige?

Als sie kürzlich mit rauchiger Stimme über das Buch sprach, also über sich selbst, zog die Französin mit dem langen kastanienbraunen Haar die Mundwinkel leicht verächtlich nach unten. Vielleicht sei sie selbst zu feige gewesen, sagte sie dann. Die entscheidende Frage habe sie dem Vater jedenfalls nie gestellt. „Warum versteckst du mich die ganze Zeit?“ hätte sie gelautet.

Ob Geheimdienst, Sicherheitskräfte oder, Steuergelder: Frankreichs Präsident hat auf alle Fälle keine Mittel gescheut, um Mazarines Existenz zu verheimlichen. Nicht vor der Gattin und den Söhnen. Sie wussten, dass es „eine zweite Familie“ gab, die Mitterrand in einer dem Staat gehörenden, von Elitepolizisten bewachten Wohnung am Seine-Ufer einquartiert hatte und bei der er werktags zu übernachten pflegte. Aber vor dem Volk. Was umso aberwitziger anmutet, als die Franzosen jedenfalls bis zur Zimmermädchenaffäre des früheren IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn den sexuellen Eskapaden ihrer Politiker nachsichtig gegenüber standen und über Mitterrand kaum den Stab gebrochen hätten. Mazarine Pingeot wird wohl weiter schreiben. Mit „Versiegelte Lippen“ hatte sie im Jahr 2005 einen ersten Versuch unternommen, Kindheit und Jugend literarisch aufzuarbeiten. Weitere dürften folgen. „Man macht ein Buch und denkt, den Maulkorb abgestreift zu haben“, gesteht sie in „Braver kleiner Soldat“. „Man täuscht sich, wie immer. Wenn das „Ich“ ein Tabuthema ist, bleibt es das auch.“

Zumal es ihr noch immer nicht leicht gemacht wird, einfach sie selbst zu sein. Nicht, dass sie noch verfemt wäre. Mitterrands politischen Erben verehren sie. Die Sozialisten reichten sie als „Abbild des Vaters, als lebendes Symbol, als Groupie, als Aushängeschild“ herum, sagt sie. Aber wer sie selbst ist, was sie fühlt, was sie denkt, darum geht es noch immer nicht.