Es blinkt und blendet auf dem Schlossplatz – mit dem Riesenrad noch üppiger als sonst. Kommt weihnachtliche Stimmung in der City trotz Corona auf? Ein nächtlicher Bummel durch Stuttgart.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Das Rössle bäumt sich auf. „Jetzt oder nie“ steht hinter dem Wappentier auf dem beleuchteten Kunstmuseumswürfel in riesigen Lettern. Die Schrift, die weithin ausstrahlt, bezieht sich auf die Schau zu 50 Jahre Sammlung LBBW, nicht etwa auf die verrückten Zeiten der vierten Welle. Das steigende Pferd in den Glanzlichtern der heimischen Sehenswürdigkeiten rund um die ebenfalls illuminierte Jubiläumssäule könnte ein Symbol sein: Es zeigt Selbstbewusstsein und Stolz – und dies in einer sehr kritischen Phase der Pandemie, in der Vorsicht geboten ist, in der man aber auch das Beste aus dem Möglichen machen sollte.

 

Der Advent ist die Zeit des Lichts und der Hoffnung. Das Dunkle kann bedrohlich wirken. Das Dunkle erinnert an die Härten des Lebens. In der Coronakrise wird Weihnachten zum Fest der gemischten Gefühle – zu einem Fest zwischen Sehnsucht und Sorge.

„Wir sind kein Weihnachtsmarkt, wir sind Einzelhandel“

Wenn es dämmert, fängt die City zu leuchten an, als sei nichts geschehen. „Lebkuchenhäusle“ ist auf einer liebvoll dekorierten Bude zu lesen, die in Reih und Glied mit Magenbrot- und Schoko-Ständen das Leben am Schlossplatz versüßen soll. „Ich dachte, es gibt keinen Weihnachtsmarkt“, sagt ein Besucher. Die Verkäuferin hinterm Glas korrigiert ihn sofort. „Wir sind kein Weihnachtsmarkt“, sagt sie, „wir sind Einzelhandel.“

Schausteller Daniel Kromer ist also Einzelhändler. Das Hin und Her steckt dem Verkäufer von Nepal-Wollware in den Knochen. Erst hat er seinen Stand auf dem Marktplatz aufgebaut, dann musste alles wieder auseinandergeschraubt werden. Und schließlich das Ganze noch mal von vorn: Seine Bude steht jetzt auf der Königstraße. Besucher, die was kaufen, müssen den Impfnachweis zeigen, dafür gibt’s ein Bändel zur Bestätigung der Kontrolle. Mit dem darf man weiterziehen – bis 20 Uhr, bis alles schließt.

Der Anfangshype beim Riesenrad ist vorbei

Länger geöffnet sind die Glühweinstände, die an der Alten Kanzlei und am Kunstmuseum noch erlaubt sind, weil es sich um Gastro handelt, während auf dem Ersatz-Weihnachtsmarkt, den man nicht Weihnachtsmarkt nennen darf, Ess- und Getränkestände verboten sind. Das ist Logik von 2021. Könnte sich aber bald ändern, weil die neue Coronaverordnung Alkoholverbot „an Begegnungsflächen“ vorsieht. Wo sich diese Orte befinden, wird die Stadt wohl erst am Montag festlegen. So lange wird weitergeglüht.

Bis 21 Uhr dreht sich das leuchtende Riesenrad im Ehrenhof. Der Anfangshype ist vorbei. „Wir haben einen Einbruch der Gästezahlen“, sagt die Juniorchefin Wibke Bruch. Die Leute seien verängstigt, es kämen wenige zum Bummeln, Touristen sowieso nicht. Jede Nacht, sagt sie, zittert sie vor dem Einschlafen, ob ein Lockdown kommt – wie’s mit demselben Sky Lounge Wheel im Winter 2020 in Oberhausen geschah. Die Bruchs schwärmen von Stuttgart. Gern würden sie jedes Jahr an diesen schönen Ort kommen.

Ein Laden nach dem anderen steht leer

Weihnachtlich leuchtet’s auch im Dorotheen-Quartier, auf den Bäumen der Königstraße, in der Schulstraße – dazu erstrahlen Lichterketten an Kränen. Stuttgart ist Baustellenmetropole. Wir kommen an drei riesigen Weihnachtsbäumen vorbei. Es sind in dieser Nacht wenige Menschen unterwegs, was die Weihnachtsstimmung nicht hebt. Am neuen Marktplatz ist der Brunnen von Brettern zugebaut. Wenige Meter weiter beginnt die Ödnis. Ein Laden nach dem anderen steht leer – von Breitling bis zum Schwabenzentrum. In der Pandemie geben noch mehr Geschäfte als ohnehin schon auf.

Ja, es weihnachtet in der City, aber die Magie, die wir in der Kindheit geliebt haben, ist vorbei. Fast alle kennen jemand, der positiv getestet wurde. Die Todeszahlen schmerzen. Dies alles bewirkt, dass viele niedergedrückt sind. Aber denken wir daran: Die weihnachtliche Botschaft ist Hoffnung, auch wenn’s jetzt schwerfällt.

„Beschweren Sie sich bei Herrn Kretschmann“, sagt die Verkäuferin

Am Glühweinstand vor dem Kunstmuseum beschwert sich jemand, dass es keine Stehtische zum Abstellen gibt. „Beschweren Sie sich bei Herrn Kretschmann“, sagt die Verkäuferin. Der MP ist der falsche Adressat. Beschweren sollte man sich beim Virus – und bei denen, die sich nicht impfen lassen. Sie sind es, die alle in Mitleidenschaft ziehen.