Die Finanzen sind weiter ein Tabuthema. Der Sprachlosigkeit folgt eine Ahnungslosigkeit, findet unser Redakteur. Mit unserem Projekt ändern wir das.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Über so manche deutsche Maxime ist die Zeit hinweggegangen. Ordnung ist nur für wenige das halbe Leben, Eigenlob scheint zum Beispiel in den sozialen Medien überhaupt nicht mehr zu stinken, und dem „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“ setzen viele längst demonstratives Prokrastinieren entgegen. Ein Spruch aber gilt wie eh und je: Über Geld spricht man nicht.

 

Nun weiß man von den wenigsten Menschen, worüber sie den ganzen Tag sprechen. Doch die deutsche Sprachlosigkeit ist in diesem Fall eben auch eine Ahnungslosigkeit. Sie erzeugt bei vielen ein verzerrtes Bild der Gesellschaft. Das zeigte sich beispielhaft im vergangenen Jahr, als erregt der Anspruch auf Elterngeld debattiert wurde – im Gespräch war eine Obergrenze von 150 000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen. Für viele war das noch zu hoch, wer verdient schon so viel? Hunderttausende andere Bürger unterschrieben eine Petition dagegen, weil die Regelung die Mittelschicht treffe.

Wer weniger hat, kann weniger sparen

Beide Seiten haben auf ihre Weise recht. Noch wichtiger wäre, dass sie miteinander ins Gespräch kommen. Denn, auch das so ein Spruch, beim Geld hört der Spaß auf – und leider auch das Verständnis füreinander in der Diskussion über die großen gesellschaftlichen Fragen. An Studien über die sich spreizende soziale Schere in Deutschland mangelt es nicht. Einkommen und Vermögen driften auseinander. Die Inflation verstärkt diesen Trend, wie beispielsweise im Januar das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie berichtet hat.

Wer weniger hat, kann auch weniger sparen – das ist ein gewaltiges Problem vor allem für jene, die nicht der schon heute oder in absehbarer Zeit verrenteten Generation angehören. Die Bundesregierung garantiert ihr Rentenniveau. Kann sie das auch den heute 40- oder 50-Jährigen versprechen? Wenn nein, verdienen sie so viel, dass sie sich wirksam privat absichern können?

Wie stehen die Aktien?

Manche plaudern gern darüber, wie ihre Aktien stehen. Wichtiger ist, dass diejenigen über Geld sprechen, die (zu) wenig davon haben. Das Land ächzt derzeit unter teilweise überzogenen Streiks. Einen positiven Nebeneffekt haben sie: Alle können sich fragen, ob die Lohnforderungen auch etwas mit ihrem Leben, mit ihren Einkommen zu tun haben. Ob sie sich für ihr Gehalt noch gleich viel leisten können wie vor zwei Jahren (natürlich nicht) und was sie dazu beitragen können, dass es anders wird (zum Beispiel in eine Gewerkschaft eintreten).

Über Geld spricht man nicht oder selten. Unsere Zeitung spricht für das Projekt „Einkommensatlas“ doch über Geld – mit Gut- und Geringverdienern, Experten und ganz normalen Menschen. Erstmals veröffentlichte Daten zeigen, für Stuttgart, wo Gut- mit Geringverdienern Tür an Tür wohnen – und wo man unter sich ist. Das hat man so detailliert noch nie gesehen, und das Ergebnis ist aufmunternd, zumindest für Stuttgart und andere süddeutsche Städte.

Eine Mahnung an Stuttgart

Anders als etwa im Ruhrgebiet, wo die Wohlhabenden traditionell abseits der Industrieanlagen wohnen, ist hier die soziale Spaltung viel weniger stark. Ebenfalls anders als im Pott hat das hierzulande bis heute mit den hohen Industrielöhnen zu tun. Und doch ist der Strukturwandel im Ruhrgebiet eine Mahnung an den Südwesten: Es muss nicht, kann hier aber so ähnlich kommen.

Neben Klimawandel und Sicherheit ist die soziale Frage das große Thema unserer Zeit. Unter den von der Regierung und der Demokratie Enttäuschten sind viele wirtschaftlich Abgehängte. Es wird Zeit, dass mehr gesprochen wird – über Geld und alles, was damit zusammenhängt.