Die DFB-Auswahl hat auf Sardinien ihre EM-Vorbereitung begonnen. Dabei gibt es aber große Probleme, weil viele wichtige Spieler noch fehlen.

Sardinien - Mitte Mai auf Sardinien, das ist die Zeit, in der die Insel erst allmählich aus ihrem Winterschlaf erwacht. Die Campingplätze entlang der Ostküste sind menschenleer, viele Hotels und Restaurants haben noch geschlossen, denn der Ansturm der Touristen wird wie immer erst pünktlich im Juli einsetzen. Restlos ausgebucht ist nur ein einziges Haus, das schicke Romazzino an der Costa Smeralda. Belegt ist allerdings auch hier nur ein kleiner Teil der mehr als 80 Zimmer.

 

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft hat die Nobelherberge nahe Porto Cervo komplett gemietet. Es sollte der Ort sein, an dem sich die Profis mitsamt ihren Familien in mediterranem Ambiente von den Strapazen der Saison erholen und gleichzeitig bei mildem Klima in die Vorbereitung auf die Europameisterschaft starten. Der Blick von der Hotelterrasse auf die Meeresbucht ist tatsächlich so schön wie das Wetter – ansonsten jedoch ist im Lager der DFB-Auswahl sehr wenig so, wie es ursprünglich einmal geplant war.

Es sind nur elf Spieler gewesen, die am Freitag auf Sardinien eingetroffen sind. Der Rest des 27-Mann-Kaders sah sich noch seinen jeweiligen Vereinen verpflichtet, und sogar der Bundestrainer Joachim Löw fehlte bei der Ankunft, weil er sich in Berlin das Pokalfinale angeschaut hat. „Natürlich hätten wir uns ein volles Hotel gewünscht“, sagt der Teammanager Oliver Bierhoff. Doch hatte er den Aufenthalt zu einer Zeit geplant, als noch keine Rede davon war, dass Dortmund und München das Pokalfinale bestreiten und die Bayern zudem im Endspiel der Champions League stehen würden. Als dies feststand, „haben auch wir uns Gedanken gemacht, ob dieses Trainingslager noch sinnvoll ist“, sagt Bierhoff. Man habe daran festgehalten, weil das Hotel gebucht war und es auch besser sei, mit weniger Leuten zu arbeiten als gar nicht.Zumindest der Manager darf sich nun zu den Profiteuren der Tage am Mittelmeer zählen – jedenfalls wird er Sardinien am Freitag mutmaßlich in exzellenter körperlicher Verfassung verlassen. Denn um ein anständiges Training im Stadion Andrea Corda zu gewährleisten, macht Bierhoff bei den Einheiten fleißig mit. Auf elf Spieler kommen auf dem Spielfeld sechs Betreuer. Wenn man es positiv sehen will, kann man also konstatieren: die individuelle Betreuung jedes Einzelnen ist gewährleistet.

Hansi Flick muss trotz allem Zuversicht verbreiten

Hansi Flick, als Assistenztrainer in Abwesenheit von Löw der Chef der Kompanie, gehört naturgemäß zu jenen, die trotz allem Zuversicht verbreiten müssen. „Die Jungs arbeiten sehr diszipliniert und motiviert mit“, sagt er tapfer und sieht, zumindest offiziell, kein größeres Problem darin, dass die wichtigsten Spieler erst verspätet eintreffen: „Uns bleibt trotzdem genügend Vorbereitungszeit, um die Mannschaft auf unsere Philosophie einzustimmen.“Inoffiziell jedoch gilt es beim Trainerstab sogar als gewaltiges Problem, dass der Kader erst spät zusammenfinden wird. Gerade Löw ist es gewesen, der immer betont hat, von welch herausragender Bedeutung die gemeinsame Zeit vor einem Turnier sei. Monatelang hatte er mit seinem Trainerteam die Einheiten bis ins Detail ausgearbeitet – und wird nun jeden Tag improvisieren müssen. Die fünf Pokalsieger aus Dortmund werden zwar immerhin morgen, und Miroslav Klose sogar schon heute auf Sardinien erwartet. Sami Khedira und Mesut Özil jedoch haben kurzfristig ganz abgesagt, weil sie mit Real Madrid nach dem Ende der spanischen Meisterschaft zu einem Privatspiel nach Kuwait reisen müssen. „Sehr ärgerlich“, findet Bierhoff, „aber wir haben keine Handhabe gegen die Vereine.“ Die Abstellungsperiode der Uefa beginnt nun einmal erst am 25. Mai.

Besonders groß ist bei der sportlichen Leitung der Verdruss über den FC Bayern. Die Münchner reizen die Frist fast bis zum letzten Tag aus und bestreiten drei Tage nach dem Champions-League-Finale am 19. Mai gegen den FC Chelsea frecherweise auch noch ein lange vereinbartes Freundschaftsspiel gegen die niederländische Nationalmannschaft. Die acht Bayern-Spieler stoßen daher wohl tatsächlich erst am 25. Mai zum DFB-Team, das dann schon längst von Sardinien ins zweite Trainingslager nach Südfrankreich übergesiedelt ist.

Joachim Löw will darauf verzichten, einen erneuten Vorstoß bei den Bayern vorzunehmen, um mit einer möglichen Kompromisslösung ein früheres Kommen zu ermöglichen. In einem Anflug von Fatalismus sagt der Bundestrainer: „Ob wir die Spieler zwei oder drei Tage früher bekommen, spielt jetzt auch keine Rolle mehr.“ Immerhin: er selbst ist gestern Mittag wohlbehalten auf Sardinien eingetroffen. Zumindest ein weiteres Zimmer im Hotel Romazzino ist damit belegt.