Kevin Kühnert verteidigt seine Äußerungen zur „Kollektivierung“ von großen Unternehmen wie BMW und zum Immobilienbesitz gegen massivste Attacken der politischen Gegner – aber auch gegen Querschüsse aus den eigenen Reihen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Es ist die Provokation der Woche: Juso-Chef Kevin Kühnert hat in einem Interview geäußert, dass er große Firmen wie BMW am liebsten „kollektivieren“ und Immobilienbesitz auf die Selbstnutzung beschränken würde. Nun steht er im Zentrum eines Orkans – auch aus der SPD kommt Kritik am Vorsitzenden der Jungsozialisten.

 

So attackiert der baden-württembergische CDU-Vize Thomas Strobl in der „Bild“-Zeitung: „30 Jahre nach dem Niedergang der DDR wollen die Linken wieder den demokratischen Sozialismus.“ Erst spreche Grünen-Chef Robert Habeck von Enteignungen, „jetzt kommen diese Stimmen auch aus der SPD und von der kommunistischen Linken sowieso.“ Offensichtlich stünden Teile der Grünen und der SPD nicht mehr uneingeschränkt für die freiheitliche Staats- und Wirtschaftsordnung. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sieht in den Äußerungen von Kühnert „das rückwärtsgewandte und verschrobene Retro-Weltbild eines verirrten Fantasten“. CSU-Generalsekretär Markus Blume rät gegenüber dpa: „Kühnert soll in die Linkspartei eintreten. Mit solchen Leuten ist kein Staat zu machen und kann eine Regierung nicht funktionieren.“ Die systemverändernden Sozialismus-Phantasien seien ein schwerer Rückfall in klassenkämpferische Zeiten. „Die SPD-Spitze muss sich deutlich von solchen Hirngespinsten distanzieren.“

Genosse Kahrs erntet eigenen Shitstorm

Kühnerts Einlassungen erhalten große Aufmerksamkeit auch wegen der Diskussion um eine Verstaatlichung von Immobilienkonzernen, was in der Hauptstadt auch von Genossen gefordert wird. In jedem Fall freut sich die Union, dass ausgerechnet der 29-jährige Polit-Star der SPD im Europawahlkampf Schützenhilfe liefert. Genau dies ärgert auch Sozialdemokraten: „Was für ein grober Unfug. Was hat der geraucht? Legal kann es nicht gewesen sein“, fragt der Chef des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, auf Twitter – woraufhin über ihn selbst noch ein eigener Shitstorm hereinbricht. Woraufhin Kahrs nachlegt: „Dass der Vorschlag grober Unfug ist, weiß nun wirklich jeder. Er ist auch nicht sozialdemokratische Linie. im Wahlkampf ist das grob unsolidarisch.“

Kühnert hatte in der „Zeit“ über die Bedeutung von Sozialismus sinniert und dabei gesagt, er wolle eine Kollektivierung von Unternehmen wie BMW „auf demokratischem Wege“ erreichen. Ihm sei „weniger wichtig, ob am Ende auf dem Klingelschild von BMW ‚staatlicher Automobilbetrieb’ steht oder ‚genossenschaftlicher Automobilbetrieb’ oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht.“ Die Verteilung der Profite müsse demokratisch kontrolliert werde. „Das schließt aus, dass es einen kapitalistischen Eigentümer dieses Betriebes gibt.“ Ohne Kollektivierung sei „eine Überwindung des Kapitalismus nicht denkbar“.

„Im Optimalfall keine privaten Vermietungen“

Auch zum Besitz von Immobilien äußerte sich Kühnert. Demnach hält er es nicht für ein legitimes Geschäftsmodell, mit dem Wohnraum anderer Menschen seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Konsequent zu Ende gedacht, sollte jeder maximal den Wohnraum besitzen, in dem er selbst wohnt.“ Noch besser seien aber genossenschaftliche Lösungen – im Optimalfall gebe es überhaupt keine privaten Vermietungen mehr.

Der Angegriffene rudert nun aber keineswegs zurück, wie es vielleicht andere Politiker machen würden. Vielmehr verweist er via Twitter auf das aktuelle Grundsatzprogramm der SPD von 2007 mit dem Passus: „Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung für uns eine dauernde Aufgabe ist.“ Und später fügt er noch hinzu: „Zu BMW verhält sich das Grundsatzprogramm übrigens nicht.“

Auch „Scheuer hat Enteignung zu verantworten“

Doch es gibt auch Schützenhilfe aus anderen Parteien. So twittert der haushaltspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Sven-Christian Kindler, dass Bundesverkehrsminister Scheuer „65 laufende Verfahren zur Enteignung – häufig Bauern und Privatleute – für den Straßenbau zu verantworten hat“. 35 Verfahren betreffen den Bau von Bundesautobahnen, bei 30 geht es um Bundesstraßen in zehn Bundesländern. Dies zeige die Antwort des Verkehrsministeriums vom 19. April auf eine Anfrage von ihm. Aber „wenn es um die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne geht, die ihre Marktmacht missbrauchen, heulen CDU und CSU auf“, notiert Kindler. Mit anderen Worten: In dieser Debatte messen die politischen Gegner gern mit zweierlei Maß.

Begründet werden diese Enteignungen mit Paragraph 19 des Bundesfernstraßengesetzes. Danach ist Enteignung zulässig, „soweit sie zur Ausführung eines festgestellten oder genehmigten Bauvorhabens notwendig“ und entsprechend Artikel 14 des Grundgesetzes zum Wohle der Allgemeinheit ist. Die aktuellen Enteignungsverfahren laufen derzeit in zehn Bundesländern.

Auch Gerhard Schröder war mal Marxist

Neu sind revolutionäre Ideen wie die von Kevin Kühnert für die SPD keineswegs: Auch der frühere Vorsitzende und Kanzler Gerhard Schröder hat sich einst als Marxist verstanden und wurde dann von 1978 bis 1980 Juso-Bundeschef. Zehn Jahre später wurde er Ministerpräsident in Niedersachsen, 1998 dann Bundeskanzler – und ein Feindbild für die Jugendorganisation, weil er genau das Gegenteil von Juso-Programmatik praktizierte. Diverse Juso-Vorsitzende – wie auch die aktuelle Parteichefin Andrea Nahles – haben ihren Weg in die Mitte gefunden. So kann auch aus Kevin Kühnert noch ein allseits respektierter Realpolitiker werden.