Betriebsrat und Gewerkschaft haben Entlassungen nicht verhindern können. Trotz goldenen Handschlags hadern auch verbleibende Mitarbeiter mit ihrer beruflichen Zukunft.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Schönaich - Draußen schlägt die Kirchturmuhr, viermal für die volle Stunde, sechsmal für die Uhrzeit. Drinnen haben sie die Blicke schweigend auf die Wände gerichtet, als waberten in einem Nebel hinter ihnen erfreulichere Gedanken. Im Hinterzimmer des Gasthauses Rose treffen sich, jeden Donnerstag, Beschäftigte und bald nicht mehr Beschäftigte des Honeywell-Werkes in Schönaich. Eine Stunde lang haben sie heute geredet, gerätselt und geschimpft, bisher. Ihr Denken kreist um eine womöglich ungewisse berufliche Zukunft. Mancher im Raum hat noch nie in seinem Leben den Arbeitgeber gewechselt.

 

Ihr Kampf ist verloren. Die Geschäftsleitung wird – mit goldenem Handschlag – wie gewollt rund 50 von 250 Mitarbeitern entlassen. Aus ihrer Sicht „löst man damit 1000 Jahre Erfahrung aus strategischen Gründen auf“. So sagt es eine der Frauen, die hier sitzen. Ihre Namen wollen sie alle nicht in der Zeitung lesen, aus Furcht. Als ob ihr Arbeitgeber sie härter bestrafen könnte als mit einer Entlassung.

Die 1000 Jahre sind eine echte Zahl. Überschlägig so lange arbeiten die Betroffenen zusammen für Honeywell oder die Vorläuferfirmen, fast alle jahrzehntelang, manche seit der Lehre. Jene strategischen Gründe können sie allenfalls ahnen. Honeywell hat eine neue Tochter gegründet, Residio. Frei übersetzt ist das Wort eine Kombination aus Eigenheim und Festung .

Die Konzernspitze schaufelt möglichst viel des Geschäfts in eine neue Hülle

Die Gesellschaft soll künftig alle Honeywell-Produkte für die Haustechnik vermarkten und alsbald an der US-amerikanischen Börse notiert werden. Auf dass die Verkaufsprospekte für potenzielle Aktionäre gefüllt sind mit beeindruckenden Daten, schaufelt die Konzernspitze möglichst viel des Geschäfts in die neue Hülle – mit kuriosen Randerscheinungen: Ein Dutzend Kollegen wird zwar nicht den Arbeitsplatz wechseln, aber den Arbeitgeber. Sie bekommen einen Residio-Vertrag. Am Sinn all dessen zweifelt auch das IMU-Institut für Arbeitsforschung in Stuttgart. Es hat im Auftrag des Betriebsrats festgestellt, dass es fraglich ist, ob aller Umbau je den Gewinn steigern könne.

Teile der Produktion und die gesamte Entwicklung sind nicht zu retten. Werke im Ausland werden sie übernehmen. Über das Entschädigungs-Angebot ihres Arbeitgebers klagt keiner. In den Abfindungen sind Aufschläge für Urlaubs-, Weihnachtsgeld und Schichtarbeit enthalten. Mitglieder der IG Metall bekommen einen Bonus. Wer der Rente nahe ist, kann über Altersteilzeit oder Vorruhestand verhandeln. Die Regelungen gelten nicht nur für aktuelle Fälle, sondern auch für künftige bis hinein ins Jahr 2025. Bessere Bedingungen würden allenfalls Sozialunternehmen anbieten.

In den Köpfen herrscht gesetzlich verordnete Ungewissheit

Aber vorerst herrscht in den Köpfen gesetzlich verordnete Ungewissheit. Seit Wochenbeginn verhandelt die Personalabteilung mit jedem Mitarbeiter einzeln, auf den das Unternehmen womöglich verzichten kann. Wer freiwillig seinen Abschied nimmt und auf eine Kündigungsschutz-klage verzichtet, bekommt noch einmal 5000 Euro zusätzlich. Es ist das allfällige Verfahren. Wenn genügend Mitarbeiter dem Lockruf des Geldes erliegen, muss niemand gekündigt werden. Andernfalls bestimmen die gesetzlichen Regelungen zur Sozialauswahl die Reihenfolge. Am 5. Oktober enden die Verhandlungen. Bis dahin weiß keiner, wer betroffen ist, ob womöglich er selbst betroffen ist.

In jedem Fall werden sich in naher Zukunft im einst für 700 Mitarbeiter erbauten Werk 200 Restbeschäftigte verlieren – oder womöglich null. Diese Zukunft für Honeywell in Schönaich befürchtet jedenfalls die IG Metall. Die Belegschaft hat dem Standort gar schon ein Denkmal errichtet: eine Mauer aus Pflastersteinen, jeder belegt mit einer gravierten Messingtafel. Über dem Ensemble ragt ein Kreuz empor.