Die Kanarischen Inseln sind in Aufruhr: Ein Ölkonzern vermutet riesige Ölfelder vor der Küste Lanzarotes und Fuerteventuras. Stören bald Probebohrungen die Urlaubsidylle?

Korrespondenten: Martin Dahms (mda)

Madrid - Das Projekt ist schon ein paar Jahre alt, doch der Streit darüber wird mit aller Frische geführt. „Wir Kanaren verkaufen uns nicht für ein Linsengericht“, sagt der Ministerpräsident der Kanarischen Inseln, Paulino Rivero. Mario Cabrera, der Inselpräsident von Fuerteventura, wird noch etwas schärfer und nennt die Leute vom Erdölkonzern Repsol „Ölpiraten“. Dessen Chef, Antonio Brufau, kann es nicht fassen: „Niemandem würde es einfallen, dieses Projekt nicht zu verwirklichen. Was ist los auf den Kanaren?“

 

  Ja: was ist los auf den Kanaren? Weit weg von Europa, vor der Küste Nordwestafrikas, liegen die sieben Inseln, die jedes Jahr Millionen von deutschen, britischen und anderen Touristen anziehen – vor allem im Winter, von dem auf Gran Canaria oder Teneriffa kaum etwas zu spüren ist. Ein Ferienparadies mit afrikanischem Klima und europäischem Komfort. Genau hier will die spanische Repsol gemeinsam mit der deutschen RWE und der australischen Woodside nach Öl bohren. Noch in diesem Jahr soll es losgehen.

Ist es das größte Ölfeld in der Geschichte Spaniens?

Die Kanaren sind in Aufruhr. Den ersten Antrag auf Probebohrungen stellte Repsol schon im Jahr 2001. Vor den beiden am weitesten östlich gelegenen Inseln Fuerteventura und Lanzarote vermutet der Konzern ein Ölfeld, möglicherweise das größte, das „in der Geschichte Spaniens“ entdeckt worden sei. 900 Millionen Barrel Öl sollen hier lagern, mindestens. Wenn die Berechnungen von Repsol stimmen, könnten damit zehn Prozent des spanischen Erdölbedarfs gedeckt werden, 20 Jahre lang. Doch ohne Probebohrungen gibt es keine Gewissheit, ob da tatsächlich Öl unter dem Meeresboden schlummert.

Die erste Genehmigung für die Probebohrungen hatte Spaniens Oberster Gerichtshof 2004 wegen mangelhafter Umweltauflagen gekippt. Im März 2012 nahm die gerade frisch gewählte konservative Regierung des Ministerpräsidenten Mariano Rajoy das Projekt wieder auf. Unbeirrt von den Protesten der kanarischen Regionalregierung und aller großen spanischen Umweltverbände erteilte sie die zweite Genehmigung. Eine „Kriegserklärung der Rajoy-Regierung“ nennt das Fernando Ríos, der Sprecher der Kanarenregierung.

5000 neue Arbeitsplätze – fragt sich nur, für wen

Zurzeit läuft die Umweltverträglichkeitsprüfung. Wenn die im Sinne Repsols ausgeht, könnte von Mai an gebohrt werden.   Die Gegner und Befürworter einer möglichen Ölförderung wenige Kilometer vor den Küsten Lanzarotes und Fuerteventuras stehen sich unversöhnlich gegenüber. Das wichtigste Pro-Argument: abgesehen von der erneuerbaren Energie vor allem aus Wind- und Wasserkraft muss Spanien seinen Energiebedarf fast vollständig durch Gas- und Ölimporte decken. Kanarisches Öl würde Spaniens Abhängigkeit vom Ausland verringern. Außerdem würden die Kanaren durch die Schaffung von bis zu 5000 Arbeitsplätzen profitieren, verspricht der Repsol-Präsident Brufau – und mokiert sich über die Proteste: „Gibt es auf Fuerteventura und Lanzarote etwa zu viel Arbeit?“ Dieses Argument zieht bei den Kritikern nicht. Die Arbeitslosenrate auf den Kanaren ist hoch, 33 Prozent, noch einmal sieben Punkte höher als in ganz Spanien. Doch zum einen werden auf den Ölplattformen Fachleute gebraucht, die wahrscheinlich in aller Welt und kaum auf den Kanaren angeheuert werden. Zum anderen leben die Inseln vom Tourismus, und der könnte unter der Erdölförderung leiden. „Die Natur ist der Motor unserer Entwicklung“, sagt der Regionalpräsident Rivero. „Das ist unvereinbar mit Probebohrungen nach Öl vor unseren Küsten. Vor allem in Zeiten, in denen wir den CO2-Ausstoß drosseln wollen.“ Die größte Sorge ist die vor möglichen Unfällen wie dem im Jahr 2010 im Golf von Mexiko. Zumal die Kanaren auch noch ihr Trinkwasser aus dem Meer beziehen.  

Der kanarische Protest macht Schule. Auch vor Ibiza, im Mittelmeer, lagert möglicherweise Erdöl. Hier gibt es noch keine Genehmigungen für Probebohrungen, doch schon seit Wochen machen Einheimische und prominente Inselgäste wie Paris Hilton oder Jade Jagger Front gegen alle Gedankenspiele um eine Ausbeutung der Lagerstätten. Erdöl- und Ferienindustrie, das passt schlecht zueinander.