Gerhard Wissel hat keine Lust gehabt, nach einem Sturz nur noch auf geteerten Wegen zu laufen. Also hat sich der 92-jährige Ingenieur aus Überlingen selbst geholfen.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Die rote Bank bietet einen prächtigen Ausblick über die Weinberge auf den Bodensee und die Mainau. Doch für Gerhard Wissel war sie zuletzt unerreichbar. Der Weg dorthin führt über Stock und Stein. Seit einem Sturz mit dem Mountainbike vor sechs Jahren ist der hochbetagte Überlinger auf einen Rollator angewiesen. „Es gibt ganz tolle Modelle auf dem Markt“, sagt der 92-Jährige. Nur keines davon sei für Wald- und Feldwege geeignet. „Die Räder sind zu einfach klein.“

 

Ist es so, dass für Hochbetagte nur noch der Spaziergang im Park möglich sein soll? Wissel, der sein Lebtag immer gerne in der Natur war, wollte sich damit nicht abfinden. Der Ingenieur, Fachrichtung Maschinenbau, machte sich an die Arbeit und entwickelte einen Geländerollator. Es ist nicht seine erste Erfindung. Seit 65 Jahren hält er das Patent über einen Schaufellader der Firma Kramer, eines Landmaschinenherstellers vom Bodensee. „Das Gerät wird heute noch verkauft.“

Selbst der Winterurlaub ist gerettet

Allerdings war die Entwicklung des „alpinen Rollators“ durchaus vertrackt. Immer wieder musste Wissel ihn verbessern, weil er im Praxistest noch Defizite erkannte. Mit größeren Rädern allein war es nicht getan, wie sich zeigte. Um auch Treppen hochzukommen, konstruierte er einen feststellbaren Lenker. Für steile Passagen baute er einen Elektroantrieb ein mit drei Gängen zu zwei, vier und sechs Kilometern pro Stunde. Weil das wiederum zu stark an den Armen zog, erdachte er einen Hüftgürtel.

Und dann zeigte sich, dass er beim Winterurlaub im von ihm so geliebten Kleinwalsertal trotzdem immer wieder stecken blieb. „Schneeketten müssen her“, entschied der Rentner. Auf stolze 23 Kilogramm kommt das Gerät mit allem Drum und Dran. Aber es lässt sich bequem in handlichere Teile zerlegen. „Das passt in jedes Auto“, sagt Wissel. Einen kräftigen Gepäckträger hat der Rollator auch. Da kann problemlos der Enkel mitfahren. Eigentlich fehlt nur noch eine Anhängerkupplung.

Der Rentner stößt in eine Lücke

Inzwischen ist Wissel kein Weg mehr zu steinig. Selbst ein Meter hohe Absätze würde sein Rollator bewerkstelligen. Drei Jahre habe die Entwicklungszeit gedauert. Eine kleine Fahrradmanufaktur baute die jeweiligen Prototypen. „Die meisten Teile habe ich ja vom Mountainbike übernommen“, sagt Wissel. Deshalb könne der Rollator auch bei Bedarf von jeder Fahrradwerkstatt gewartet und repariert werden. Nur für die Schneeketten und die Lenksperre habe er sich den Gebrauchsmusterschutz gesichert.

Jetzt ist Wissel im hohen Alter noch zum hippen Start-up-Unternehmer geworden. Gegenwärtig vertreibe er seinen Geländerollator noch im Direktverkauf – für rund 5000 Euro das Stück. „Ich muss erst einmal den Markt analysieren.“ Drei Modelle hat er schon verkauft. Doch offenbar hat Gerhard Wissel in eine Lücke gestoßen. „Ich werde gerade überhäuft mit Anfragen.“ Noch sieht er es gelassen. „In meinem Alter braucht man keine Arbeit, aber eine Aufgabe.“ Hauptsache, es bleibt noch Zeit für Ausflüge in Wald und Flur.