Am Sonntag entscheiden die Wähler, ob Kyriakos Mitsotakis an der Macht bleibt – ein zweiter Wahlgang ist aber wahrscheinlich

Griechenland wählt am Sonntag ein neues Parlament. Der konservative Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis will die absolute Mehrheit verteidigen, mit der er seit vier Jahren das Land regiert. Seine Nea Dimokratia (ND) liegt zwar in den Umfragen deutlich vorn. Aber es ist unwahrscheinlich, dass Mitsotakis sein Wahlziel bereits am Sonntag erreicht.

 

Für Kyriakos Mitsotakis sind es „die wichtigsten Wahlen seit Jahrzehnten“. Der Regierungschef sieht sein Land „am Scheideweg zweier Welten“. Bei einer Wahlkundgebung in der Hafenstadt Volos rief er dem Publikum zu: „Entweder gehen wir voran auf dem Weg der Stabilität und des Fortschritts, oder wir kehren zurück in die Vergangenheit und riskieren neue Abenteuer.“

Tsipras hofft auf eine Rückkehr an die Macht

Damit spielt Mitsotakis auf seinen politischen Gegner an: Alexis Tsipras, Ex-Premier und Chef des radikal-linken Wahlbündnisses Syriza. Tsipras regierte das Land bereits von 2015 bis 2019. Jetzt hofft er auf eine Rückkehr an die Macht. Der Syriza-Chef hat umfangreiche Verstaatlichungen im Banken- und Energiesektor sowie milliardenschwere Sozialprogramme angekündigt.

Erinnerungen an eine turbulente Zeit werden wach: Nach der Regierungsübernahme Anfang 2015 steuerten Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis Griechenland in fünf Monaten an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. Nur ein drittes milliardenschweres Rettungspaket der Euro-Partner konnte damals die drohende Staatspleite abwenden.

Heute spricht niemand mehr vom Grexit

Heute spricht niemand mehr vom „Grexit“, einem Ausscheiden aus der Eurozone. Griechenland steht kurz vor der Rückkehr zum begehrten Investment Grade, die Liga der kreditwürdigen Schuldner. Es hat zwar immer noch die höchste Schuldenquote aller EU-Staaten, aber kein anderes Land hat seine Schuldenlast in den vergangenen zwei Jahren so schnell abgebaut wie Griechenland, nämlich um 35 Prozentpunkte von 206 auf 171 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zu verdanken war das vor allem dem starken Wirtschaftswachstum. 2021 legte das BIP 8,4 Prozent zu, 2022 weitere 5,9 Prozent. Die Arbeitslosenquote ist immer noch die zweithöchste in der EU, ging aber in den vier Regierungsjahren Mitsotakis von 19 auf elf Prozent zurück. Die Inflation lag nach Angaben des Statistikamtes Elstat im April mit drei Prozent deutlich unter dem Durchschnitt der Euro-Zone von sieben Prozent.

Aber die wirtschaftliche Erfolgsbilanz wird von Skandalen überschattet. Im vergangenen Jahr kam ans Licht, dass der griechische Geheimdienst Dutzende Unternehmer, Journalisten, Militärs und Politiker abgehört hat. Mitsotakis, der sich 2019 den Geheimdienst direkt unterstellte, will davon nichts gewusst haben. Laut Umfragen nehmen ihm das zwei Drittel der Griechinnen und Griechen aber nicht ab.

Mehrere Fälle von krassem Staatsversagen

Ein Zugunglück beim mittelgriechischen Tempi mit 57 Toten offenbarte im Februar skandalöse Versäumnisse, Sicherheitsmängel und Vetternwirtschaft beim staatlichen Bahn-Netzbetreiber OSE. In den Augen vieler Bürger war das Unglück bereits der zweite Fall von krassem Staatsversagen, nachdem im Sommer 2021 riesige Brände fast die gesamten Waldbestände im Norden der Insel Euböa vernichteten. Die Feuerwehren waren machtlos. Mitsotakis spricht von „Fehlern, aus denen wir lernen müssen“.

Er will am Sonntag die absolute Mehrheit, mit der seine ND seit 2019 allein regiert, verteidigen. Nur mit einer Einparteienregierung könne er seinen Reformkurs fortsetzen, argumentiert Mitsotakis. In den jüngsten Umfragen führt die ND zwar mit rund 32 Prozent Stimmenanteil deutlich vor dem Linksbündnis Syriza, das auf etwa 25 Prozent kommt. Für eine absolute Mehrheit reicht das aber nicht. Denn gewählt wird erstmals nach einem neun Verhältniswahlrecht. Danach braucht eine Partei mindestens 48 Prozent für die absolute Mehrheit der Mandate. Wenn die Wahl am Sonntag keine regierungsfähige Mehrheit ergibt, wovon die meisten Beobachter ausgehen, müssten die Griechinnen und Griechen voraussichtlich am 2. Juli erneut zu den Urnen gehen. Dann würde nach einem neuen Wahlrecht abgestimmt, das die absolute Mehrheit der Parlamentssitze schon mit rund 38 Prozent ermöglicht – eine Hürde, die Mitsotakis zu nehmen hofft.