Russland erkennt die Separatistengebiete in der Ostukraine an. Die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin vor seiner Unterschrift ist wirr und bizarr. Was bedeutet sie und welche Folgen hat sie?

Korrespondenten: Inna Hartwich

Moskau - Eilig habe man den nationalen Sicherheitsrat zusammengerufen. Die Lage in der Ostukraine verschärfe sich, man müsse handeln. So raunte es durch Moskau am Montag. Das Eilige, Plötzliche, Unerwartete, so stellte sich bereits kurz danach heraus, war eine lang geplante Operation. Eine Schmierenkomödie nach Kreml-Art, die offen wie nie zuvor klarmachte: Der vermeintliche ukrainische Bürgerkrieg war und ist ein primitiv inszenierter russischer Feldzug gegen einen Nachbarstaat, dem Moskau die Staatlichkeit abspricht.

 

„Eine seit langem überfällige Entscheidung“, sagt Putin

Russland hat – durchaus erwartet – die Separatistengebiete in der Ostukraine als unabhängig anerkannt. „Eine seit langem überfällige Entscheidung“, nennt es Putin. Knapp eine Stunde lang verliert er sich am Abend in einer im Fernsehen übertragenen Rede in bizarren Exkursen zum russischen Zarenreich, der Sowjetunion, dem modernen Russland und der heutigen Ukraine. Das Land sei ein Produkt Lenins, ein Geschenk der Sowjetunion, mit dem all ihre Führungspersonen in der Ukraine nichts hätten anfangen können. Eine „Kolonie mit Marionetten-Regime“, nennt Putin die Regierung in Kiew. Seine Ausführungen, emotional, teils tief atmend vorgetragen, sollen erklären, dass Russland, dieses vermeintlich vom Westen tief bedrängte und stark bedrohte Land, gar keine andere Wahl gehabt habe, als „diesen Weg des Friedens“ zu gehen und den „Gequälten und Geschundenen“ in der Ostukraine beizustehen. Der russische Präsident sagt tatsächlich: „Russland hat alles getan, um die territoriale Integrität der Ukraine zu bewahren.“

Schon kurz nach der Rede überqueren russische Truppen die Grenze

Bereits am Abend überqueren russische Truppen die Grenze zur Ukraine, um – so nennt es Moskau – die „Sicherheit in den Volksrepubliken zu gewährleisten“. Der Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit, den Putin mit den „Oberhäuptern“ der beiden „Volksrepubliken“ kurz zuvor unterschrieben hatte, beinhaltet eine Klausel zum „militärischen Beistand“. Damit könnte Russland, wie bereits in den von Georgien abtrünnigen und von Russland ebenfalls anerkannten Gebieten Abchasien und Süd-Ossetien Tausende Soldaten in der Ostukraine stationieren. In den Separatistengebieten gibt es in der Nacht Feuerwerke.

Wie ein Besessener fast setzt Putin zu seinem Exkurs an, dass es ein Land wie die Ukraine nicht gebe. Es ist seine moralische Vernichtung eines Staates, den Russland nie verstanden hat. Damit führt er seine Gedanken, die er bereits im vergangenen Sommer in einem Essay niedergeschrieben hatte, fort. Die Unabhängigkeit der Ukraine sei ein „Fehler“ der Kommunistischen Partei unter Michail Gorbatschow. Fortan habe die Ukraine „mechanisch fremde Modelle kopiert“, die ihr „Radikale“ diktiert hätten. So drangsaliere Kiew sein Volk mit hohen Gaspreisen, verletzte die Menschenrechte, verfolge die Opposition, begehe „Genozid“ an der russischsprachigen Bevölkerung. Das ist Putins gern gebrauchter Begriff, um zu zeigen, wie schlimm es um die Ukraine angeblich stehe und wie gut es sei, dass das Land Russland als Nachbarn habe. Es ist eine verkehrte Welt. Eine, die allerdings bei vielen Russen greift. Die Propaganda trägt seit Jahren sehr viel dazu bei, um die Bedrohung durch die Nato, die in Putins Augen auch Kiew mittrage, zur realen Angst der Menschen zu machen.

Die Situation war 2014 bei der Krim ganz ähnlich

Putins „Geschichtsstunde“ war eine ebenfalls bizarre Sitzung des nationalen Sicherheitsrates vorausgegangen. Sie wurde als live verkauft, doch die Uhr des russischen Verteidigungsministers Sergej Schojgu zeigte seltsamerweise fünf Stunden vorher an. Die Mitglieder des Rates traten dabei einer nach dem anderen an den Pult und flehten Putin geradezu an, die „Volksrepubliken“ anzuerkennen. Äußerst peinlich: der Auftritt von Sergej Naryschkin, des Chefs des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR. Er stockte, er wusste nicht recht, was er sagen sollte, versprach sich. Sagte sogar den Satz, dass er sich für den Anschluss des Donbass an Russland ausspreche. „Darum geht es nicht. Setzen Sie sich!“, herrschte ihn Putin an.

Vorerst geht es in der Tat nicht darum, doch die Rede Putins legt nahe, dass die Anerkennung lediglich die Vorstufe zum Anschluss sein dürfte. Es war bereits bei der Krim 2014 ähnlich. Zudem steht es in dem von Putin unterschriebenen Dekret, dass das russische Parlament in einer ähnlich bizarren Vorführung heute ratifizieren dürfte, offenbar, dass Russland die „Volksrepubliken“ in seinen ursprünglichen Grenzen der Regionen Luhansk und Donezk anerkenne. Damit also auch die Gebiete, die derzeit von der Ukraine kontrolliert werden.

„Warum macht man aus uns einen Feind?“, fragt Putin – und antwortet sogleich selbst: „Sie brauchen solch ein großes und selbstständiges Land wie uns nicht. Das treibt Amerika an. Ihr einziges Ziel ist es, uns zu bezwingen.“ Es ist gespenstisch. Und es ist Putins Prolog zu einem großen Krieg.