In absehbarer Zeit scheint für den EU-Neuling Kroatien kein Ende des wirtschaftlichen Jammertals in Sicht. Seit einem Jahr ist das Land in der Union und manch einer fragt sich, was der Beitritt überhaupt gebracht hat.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Knin - Von den Zinnen der Festung von Knin weist Ante Slavic auf das Gelände seines früheren Arbeitgebers: Mehr als 3000 Beschäftigte habe die Schraubenfabrik einst beschäftigt, „jetzt noch ein Zehntel“, erzählt der Schlosser. Es war der 1991 ausgebrochene Kroatienkrieg, der nicht nur das Leben von Ante aus den Bahnen werfen sollte. Knin habe im Krieg den Großteil seiner früheren Firmen und Einwohner und Jahre seiner Entwicklung verloren, sagt der auf einen Stock gestützte Kriegsveteran: „Krieg ist nicht wie im Film. Krieg ist nur schrecklich.“   Als Symbol des Streits um die kroatische Unabhängigkeit hatte das hart umkämpfte und jahrelang von serbischen Paramilitärs kontrollierte Knin während des Kroatienkriegs gegolten. Knapp zwei Jahrzehnte nach dessen Ende wirkt die verarmte Stadt wie ein trauriges Symbol für den Stillstand des EU-Mitglieds Kroatien.

 

Die Provinzstadt scheint vergessen – und der einstige Bahnknotenpunkt an der neuen EU-Außengrenze zu Bosnien-Herzegowina ist ins Abseits geraten.   Als Flüchtling aus Bosnien hatte sich die Journalistin Mira nach dreijährigem Asyl in Deutschland 1998 mit ihrer Familie in Knin niedergelassen. Nicht nur wegen des Bankrotts der meisten Firmen sei die damalige Aufbruchstimmung in Knin verflogen. Die nach dem Krieg an der Küste gebaute Autobahn von Zagreb nach Split habe das 50 Kilometer vom Meer entfernte Knin in eine Randlage gebracht – und die Bedeutung der Eisenbahn im einstigen „Tor zu Dalmatien“ stark schwinden lassen. Von den erhofften Segnungen des EU-Beitritts sei in der von hoher Jugendarbeitslosigkeit geplagten Stadt nichts zu verspüren, sagt die blonde Reporterin: „Das Leben ist selbst teurer geworden. Die Jungen bekommen Flügel: Sie wandern schneller ab.“  

Ein Jahr der verpassten Chancen

Als „sehr erfolgreich“ preist Kroatiens Chefdiplomatin Vesna Pusic das erste Jahr in Europas kriselndem Wohlstandsbündnis. Von einem Fehlstart und einem Jahr der verpassten Chancen sprechen indes die heimischen Analysten. Vor allem die politische Elite habe die Möglichkeiten der EU-Mitgliedschaft „nicht genutzt“, konstatiert der Zagreber Politologe Nenad Zakosek. „Die Kroaten sind enttäuscht von der EU – und die EU von Kroatien“, umschreibt der Analyst Davor Gjenero die trübe Stimmung im Land.  

Drei Jahre lebte Marko Kalat nach dem Krieg als Flüchtling im serbischen Valjevo, bevor er 1998 in seine Heimatstadt Knin zurückkehrte. Obwohl die Serben noch ein knappes Viertel der Bevölkerung in der auf 15 000 Einwohner geschrumpften Stadt stellten, gebe es im Umgang mit den Kroaten „kaum mehr Probleme“, versichert der hoch gewachsene Kellner. Doch der Stillstand lähme die Menschen. „Es bewegt sich nichts. Nur vor den Wahlen reisen die Politiker aus Zagreb an, versprechen viel  – und verschwinden dann wieder.“ Von der EU-Mitgliedschaft sei in Knin „nichts zu merken“: „Es ist alles wie zuvor. Manchmal frage ich mich, ob wir überhaupt in der EU sind.“

  Zum sechsten Mal in Folge muss der Adriastaat neben Zypern als einziger in der EU auch in diesem Jahr mit einem Minuswachstum rechnen. Wegen der wachsenden Haushaltslücken leitete Brüssel zu Jahresbeginn zu allem Übel ein Defizitverfahren gegen den EU-Neuling ein. Fast jeder zweite Jugendliche ist ohne Job. Die ausländischen Direktinvestitionen sind im Beitrittsjahr 2013 selbst um satte 60 Prozent zurückgegangen. „Kroatien ist es nicht geglückt, die Früchte des EU-Beitritts zu ernten“, titelt betrübt die Zeitung „Vecernji List“. Kroatien habe Griechenland als das „am schlechtesten funktionierende Land“ der EU abgelöst, ätzt die britische „Financial Times“.