Lange Zeit geisterte im Umfeld der Stuttgart-21-Planung das Schlagwort von der „Magistrale für Europa“ herum. Nun haben sich Städte und Institutionen zwischen Paris und Budapest zum Verein „Main Line for Europe“ zusammengeschlossen. Stuttgart und die Region sind mit von der Partie.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Der erbitterte Streit um Stuttgart 21 hat den Horizont der Beteiligten unbestreitbar erweitert. Das staunende Publikum erfuhr von der Existenz des zu schützenden Juchtenkäfers und erhielt Einblicke ins Quellverhalten des Anhydrits, einer nicht nur bei Tunnelbauern gefürchteten Gesteinsformation. Und schließlich und endlich wurde man gewahr, dass Stuttgart an einer gedachten Bahnverbindung liegen könnte, die von Paris ausgehend – je nach Diskussionsstand – mal in der ungarischen Hauptstadt Budapest, mal in der slowakischen Kapitale Bratislava, dem alten Pressburg, enden würde. Als „Magistrale für Europa“ wurde dieser eiserne, transeuropäische Verkehrsweg in der Debatte eingeführt, gefolgt von der spöttischen Frage der Kritiker, wer denn um Gottes willen nach Bratislava wolle und warum man die Bahnfahrt dorthin auf sich nehmen sollte.

 

Kaum Bedeutung für das lokale Vorhaben

Es war am damaligen Technikvorstand der Deutschen Bahn, Volker Kefer, der auf unerbittliches Nachfragen des Stuttgart-21-Schlichters Heiner Geißler die Bedeutung dieser Magistrale relativierte. Sie sei für die Wirtschaftlichkeit der Neubaustrecke zwischen Stuttgart und Ulm irrelevant. Den Projektgegnern war damit der Beweis erbracht, dass hier ein ordentlicher Popanz aufgebaut worden sei, um die Bedeutung des Bahnprojekts auf eine europäische Ebene zu heben, die es aber gar nicht habe.

Entlang der gedachten Bahnlinie ließ man sich von dererlei beeindrucken. Das liegt womöglich auch daran, dass die Initiative, die sich ebenfalls „Magistrale für Europa“ nennt, älter als die Idee von Stuttgart 21 ist, die 1994 das Licht der Öffentlichkeit erblickte, wohingegen sich die Initiative bereits 1990 gründete. Aus dem losen Zusammenschluss von damals ist nun ein ordentlicher Verein geworden, der allerdings englisch als „Main Line for Europe e.V.“ firmiert. Die Mitgliederliste reicht von den französischen Städten Nancy und Straßburg über verschiedene Industrie- und Handelskammern bis hin zu den österreichischen Städten St. Pölten und Salzburg. Die jeweiligen Endpunkte Paris im Westen und Budapest oder Bratislava im Osten sucht man hingegen vergeblich. Auch Wien will nicht mittun.

Stadt und Region treten Verein bei

Aber Stuttgart, wo nach alter Projekt-PR mit Stuttgart 21 das „neue Herz Europas“ entstehen soll, ist Ende September genauso dem Verein beigetreten wie der Verband Region Stuttgart. Man bekräftige damit das „Engagement für eine durchgängig ausgebaute Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Paris und Budapest und für eine Kapazitätserweiterung für den Schienengüterverkehr auf dieser Strecke“, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung von Stadt und Region. Entlang des Korridors lägen „wichtige Metropolen und Wirtschaftsräume, in denen rund 35 Millionen Menschen leben“, rechnen die beiden Neu-Mitglieder vor. Um diese Chancen zu wahren und zu realisieren bezahlt fortan die Region 6000 Euro pro Jahr, die Stadt 7000 Euro pro Jahr an Mitgliedsbeiträgen an den Verein.