Mit der Genehmigung einer Veranstaltung des Vereins Aufbruch Stuttgart im vergangenen Jahr auf der Konrad-Adenauer-Straße hat die Stadt einen Präzedenzfall geschaffen. Nun kommen weitere Demos.

Stuttgart - Die Stadt hat eine unangenehme Debatte über die mögliche Ungleichbehandlung von Bürgeraktionen abgewendet. Sie gestattet dem im Gemeinderat vertretenen Bündnis Stuttgart-ökologisch-sozial (SÖS) nun doch am Sonntag, 18. März, eine Veranstaltung auf einer dann komplett autofreien B 14. Noch am Dienstag hatte der Versammlungsleiter, SÖS/Linke-plus-Fraktionschef Hannes Rockenbauch, nach eigener Aussage von Ordnungsamtsleiterin Dorothea Koller erklärt bekommen, dass seine politische Veranstaltung „Aus Liebe zur Stadt“ nur auf den äußeren Spuren der Konrad-Adenauer-Straße zwischen Gebhard-Müller- und Charlottenplatz stattfinden könne. Der Autoverkehr müsse auf den inneren vier Fahrbahnen der Kulturmeile fließen können. Um die Sicherheit der Demonstrationsteilnehmer zu gewährleisten, seien zudem am Straßenrand Gitter über die ganze Länge aufzustellen.

 

Gleiches Recht für alle

Rockenbauch hatte prompt auf die in der Öffentlichkeit positiv wahrgenommene Veranstaltung des Vereins Aufbruch Stuttgart verwiesen, der vom ehemaligen SWR-Moderator Wieland Backes mit gegründet wurde – und auf Gleichbehandlung gepocht. Mitte September 2017 waren fast 2000 Menschen einem Aufruf des Vereins gefolgt, ein Zeichen gegen den Verkehrskollaps und für eine menschengerechte Stadt zu setzen – und zwar auf einer komplett gesperrten B 14. An diesem Tag zierte die Schneise ein Rollrasen, sie wurde von den Hochseilartisten der Traber-Familie in luftiger Höhe gequert.

Auf Anfrage unserer Zeitung teilte die Stadt am Mittwoch mit, es sei Rockenbauch nun doch eine Vollsperrung „in Aussicht gestellt“ worden – „aus Sicherheitsgründen“. Offenbar erschien der Verwaltung ihr ursprünglicher Vorschlag zu riskant, die Teilnehmer der Veranstaltung an Infoständen und Kinderspielstationen lediglich durch eine Gitterreihe vom Durchgangsverkehr zu trennen.

Präzedenfall sorgt für Ärger im Rathaus

Auch dürfte die Verwaltung nicht jenen Gerüchten neue Nahrung geben wollen, der Verein Aufbruch genieße wegen seiner prominenten Mitstreiter eine Vorzugsbehandlung. An kritischen Tönen mangelt es im Rathaus dennoch nicht. Es heißt hinter vorgehaltener Hand, die Genehmigung einer Vollsperrung für das Happening von Backes und Co. sei trotz der positiven Resonanz ein Fehler gewesen, weil damit eben ein Präzedenzfall geschaffen worden sei.

Tatsächlich wollen die Veranstalter von „Aus Liebe zur Stadt“, neben SÖS unter anderen die Fraktionskollegen der Linken, BI Neckartor, BUND, „Stuttgart laufd nei“, Aktionsbündnis K 21 und die Initiative Frischluft für Cannstatt, nicht nur am 18. März bei „Kaffee, Saft und Hefezopf“ demonstrieren, sondern nun regelmäßig Vollsperrungen der Hauptverkehrsstraße beantragen.

Jeden Monat eine Demo, falls die Kraft reicht

„Einmal im Monat autofrei auf der B 14“, lautet das Ziel, um „erfahrbar zu machen, welche Lebensqualität in unserer Stadt möglich ist, wenn wir aus einer autogerechten Stadt eine menschengerechte Stadt machen“, heißt es in einem Flyer. Rockenbauch sagt, die Wiederholungen hingen natürlich von der Organisationskraft der veranstaltenden Initiativen ab.

Aber nach dem Urteil zu Fahrverboten gelte es nun, Druck zu machen, „damit endlich wirksame Maßnahmen zum Schutz der Menschen in Stuttgart ergriffen werden“. Seit Jahren litten vor allem auch Kinder an den krankmachenden Folgen von Feinstaub, Stickoxiden und Lärm durch zu viel Autoverkehr. Darauf habe er bereits 2005 in einem Feinstaubantrag hingewiesen.

Die Stadtverwaltung plädiert künftig für Vollsperrungen der B 14 eher am verkehrsärmeren Sonntagvormittag. Dass sich auch andere Organisatoren für diesen Ort erwärmen könnten, kann sie nicht ausschließen. Die Veranstaltung müsse aber nicht nur politischen Charakter haben, sondern die Sperrung auch inhaltlich begründen. Im aktuellen Fall würden die Vorzüge einer autofreien Innenstadt präsentiert.

Versammlungsfreiheit hat Vorfahrt

Der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit der Autofahrer auf der Bundesstraße  14 (am 18. März etwa zwischen 13.45 und 15.30 Uhr) wird mit dem Recht auf Versammlungsfreiheit begründet. Er müsse hingenommen werden, weil die öffentliche Meinungsbildung und die Versammlungsfreiheit schwerer wiegen als die Beschränkung des fließenden Verkehrs. Aus der Notwendigkeit, die körperliche Unversehrtheit der Veranstaltungsteilnehmer zu gewährleisten, lasse sich zwar kein generelles Recht auf eine Sperrung der Straße ableiten. Im konkreten Fall sei aber nur so die Sicherheit zu gewährleisten.

Mit den Veranstaltern wurde besprochen, die oberirdischen Kreuzungen Gebhard-Müller- und Charlottenplatz für den Individualverkehr freizuhalten. Die Tunnel und die Zufahrten zur Konrad-Adenauer-Straße sind natürlich gesperrt, alle anderen Abbiegemöglichkeiten können aber genutzt werden.