Der Film „Barbie“ bekam bereits vor seiner Veröffentlichung viel Aufmerksamkeit – was vor allem an der Regisseurin und Drehbuchautorin Greta Gerwig liegt. Warum ist das so?

Ausgerechnet Greta Gerwig. Kein Artikel, der über den neuen „Barbie“-Film veröffentlicht wird, scheint ohne die Bemerkung auszukommen, dass „ausgerechnet“ Greta Gerwig Regie geführt und das Drehbuch geschrieben hat. Auf den ersten Blick scheint es nicht zusammenzupassen. Die Puppe Barbie, die trotz aller Modernisierungsversuche immer noch für ein völlig unrealistisches Schönheitsideal und für Oberflächlichkeit steht. Und Greta Gerwig, die genau dafür nicht steht.

 

Andererseits überrascht es doch nicht, schaut man sich Gerwigs Lebenslauf an. Die 39-Jährige entflieht gerne den Schubladen, in die man sie gern steckt. Sie setzt die Geschichten um, die sie interessieren, ohne darauf zu achten, was von ihr erwartet wird. Und sie ist bekannt dafür, eine Geschichte auf ihre ganz eigene Art zu erzählen, ihr einen besonderen Stempel aufzudrücken. Und damit ist sie sehr erfolgreich.

Independent-Schauspielerin mit Ambitionen

Als Schauspielerin spielt sie zunächst lange Zeit in Independent-Filmen mit. Sie gilt sogar als eine der führenden Darstellerinnen der sogenannten „Mumblecore“-Bewegung, die sich durch improvisierte Dialoge, Handkameras und niedrige Budgets auszeichnet. Dass sie neben der Schauspielerei noch andere Ambitionen hat, beweist sie aber bereits im Jahr 2008, als sie zusammen mit dem unabhängigen Filmemacher Joe Swanberg für das Drama „Nights and Weekends“ das Drehbuch schreibt und Regie führt.

Doch dann spielt sie in dem Mainstream-Film „Greenberg“ mit und wird an der Seite von Ben Stiller auch einem internationalen Publikum bekannt. Bei den Dreharbeiten lernt sie den Regisseur und Drehbuchautor Noah Baumbach kennen. Eine Begegnung, die sowohl privat als auch beruflich Bedeutung haben wird. Seit 2011 leben Baumbach und Gerwig zusammen in New York und haben inzwischen zwei gemeinsame Kinder. Auch bei ihrer Arbeit bilden sie ein erfolgreiches Team. Zuletzt schrieben sie gemeinsam das Drehbuch für „Barbie“.

Als erst fünfte Frau in der Kategorie Regie für den Oscar nominiert

Da Gerwig, die als engagierte Feministin bekannt ist, die Geschichte der Plastikpuppe verfilmte, waren sich Medien, Kritiker und Fans bereits vor Veröffentlichung weitestgehend einig: Der Film muss gut sein. Denn die 39-Jährige, die als Schauspielerin in Filmen wie „To Rome with Love“ oder „Frances Ha“ überzeugte, zählt aktuell zu den interessantesten Regisseurinnen und gilt als weibliche Hoffnungsträgerin, seit sie mit dem ersten komplett unter ihrer Regie entstandenen Film „Lady Bird“ für einen Oscar nominiert war. In der Kategorie Regie ist sie damit erst die fünfte Frau überhaupt, die sich Hoffnung auf die Auszeichnung machen durfte. Erhalten hat sie sie allerdings nicht.

Doch der Film über ein 17-jähriges Mädchen (gespielt von Saoirse Ronan) gewann dafür die Herzen der Zuschauerinnen und Zuschauer. Eine Geschichte über das Erwachsenwerden in einer Kleinstadt – hat man das nicht schon tausendmal gesehen? Ja, aber nicht auf die Art, wie Greta Gerwig sie erzählt. Aus ihrer Feder wirkt die Geschichte berührend echt. Was vielleicht auch daran liegt, dass ihre Hauptfigur Lady Bird Parallelen zu Gerwigs eigener Jugend aufweist. Sacramento ist nicht nur die Heimatstadt der Filmheldin, sondern auch ihre; Greta Gerwig hat wie Lady Bird eine katholische Mädchenschule besucht, und ihre Mutter war Krankenschwester. Kritiker schreiben nach diesem Film, dass er intelligent erzählt ist, mit witzigen Dialogen und einer großen Zuneigung zu den Figuren.

Gerwig erzählt von Beziehungen, die nicht romantischer Art sind

Der Film wird ein Überraschungshit, und Greta Gerwig überrascht mit der Wahl ihres nächsten Filmstoffs. Mit „Little Women“ nach der Romanvorlage von Louisa May Alcotts aus dem Jahr 1868, erschafft sie ein opulentes Kostümdrama – das optische Gegenteil des unaufgeregt-schlichten „Lady Bird“. Doch auch hier rückt sie Frauen in den Vordergrund. Sie beleuchtet ihre Beziehungen, die nicht romantisch, aber doch von großer Bedeutung sind. Freundschaftliche Beziehungen, Beziehungen zwischen Geschwistern oder Beziehungen zwischen Tochter und Mutter beispielsweise.

Dass der Literaturklassiker „Little Women“ bereits mehrfach verfilmt wurde, kümmert Gerwig nicht. Ihr gelingt ein frischer Blick auf die vier Schwestern, die sie mit außergewöhnlichen Talenten ausstattet. In einer Szene fängt das Kleid ihrer Filmfigur Jo March Feuer. Auf die Warnung: „Sie brennen!“ antwortet sie zerstreut: „Danke.“ Es ist bezeichnend, dass eine Frau des 19. Jahrhunderts in Gerwigs Version es als Kompliment deutet, für etwas zu brennen – in ihrem Fall für das Schreiben. Gerwig bringt ihre Figuren aber nicht nur dazu, für etwas zu brennen, sie lässt sie auch leuchten. Dieses Kunststück gelingt sogar bei einer Plastikpuppe – aber nur, wenn ausgerechnet Greta Gerwig sie zum Leben erweckt.