Ein paar letzte Worte, ein paar Erinnerungen und selbstverständlich ein letzter Film – mit einer Abschlussveranstaltung hat die Filmgalerie 451 am Berliner Platz in Stuttgart am Samstag Abschied genommen.

Stuttgart - Irritiert steht der Herr mit seinem Fahrrad vor der Tür an der Gymnasiumstraße. „Wir wollten einen Film ausleihen“, sagt er und blickt durchs Schaufenster. Doch dort, wo sich seit 1987 Filme aneinander reihten, alte Klassiker, der neue Woody Allen, Autorenkino sowie Kinderfilme, sind die Regale abgebaut. Die Wände sind bemalt, „Exit through the 451-Shop“ steht an der einen, die Namen der Mitarbeiter an der anderen. Die Eingeweihten stehen derweil schon im ersten Stock der Filmgalerie 451, in „The Set“. Ein rot-plüschiges Minikino mit alten Kinosesseln, einer Leinwand und einer kleinen Bar, an der das Barpersonal nur „Barbarellas“ genannt wird, nach dem Science-Fiction-Film des französischen Regisseurs Roger Vadim aus dem Jahr 1968.

 

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Es wird der letzte Abend sein, im Set und in der Filmgalerie. Noch ein paar letzte Erinnerungen an die Institution am Berliner Platz, noch ein paar letzte Worte von Marc Hug, dem Betreiber, den an diesem Abend nicht nur einmal der Klos im Hals zum Stocken bringen wird, und noch ein letzter Film, „The Long Goodbye“, ein Kriminalfilm von Robert Altmann.

Der Mann, der den so passenden Abschlussfilm gewählt hat, ist Thomas Klingenmaier, Filmkritiker der Stuttgarter Zeitung. Eine Einführung möchte er aber besser nicht geben: „Man sollte einen Kritiker nicht über seinen Lieblingsfilm sprechen lassen“, sagt er und entscheidet sich deshalb für eine Abschiedsrede, so wie viele an diesem Samstagabend. Er gesteht: „Ich war immer ein schlechter Kunde der Filmgalerie“. Grund sei ein Trauma aus seiner Kindheit und Jugend: aufgewachsen in der „schlimmen Provinz“ Heilbronn, musste er Filmperlen kilometerweit hinterherreisen, um diese wenigstens ein einziges Mal sehen zu können. Heute sei es ihm deshalb nicht genug, Filme lediglich für kurze Zeit zu leihen, „ich muss alle selbst besitzen“, sagt er.

Eine unübliche Videothek

Doch war die Filmgalerie seit ihrer Eröffnung 1987 weit mehr als ein Umschlagplatz von Datenträgern. Eine unübliche Videothek, die vielmehr „Kulturbewahrungsinstitution“ war, wie Hansl Schulder, der Bibliothekar der Filmakademie Baden-Württemberg sagt. Hier waren die Streifen nicht nur nach ihren Genres sortiert, sondern auch nach Regisseuren, eine Tatsache, die viel über die Filmgalerie und ihren Anspruch aussagt. Blockbuster waren dort selten zu finden, stattdessen eine feine Auswahl aus allen Genres und Jahrzehnten. Eine feine Auswahl, die inzwischen gut 23 000 Filme umfasst.

Wer da den Überblick verlor, konnte sich auf die Ratschläge des oft langjährig angestellten Personals sicher sein. „Hier stand man der Filmkunst emphatisch gegenüber“, erinnert sich Animationsfilmer Andreas Hykade, „hier habe ich Filme gefunden, die ich schon immer sehen wollte und solche, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt.“ Es fallen an diesem Abend, vor „The Long Goodbye“ und danach bei der Feier in und vor der Galerie viele Bezeichnungen: Filmbibliothek, Ort für Filmkunst und ein Ort zum angeben, wenn Besuch aus anderen Städten kam, ein Ort, den man so in Stuttgart nicht erwarten würde.

Doch allem Lob zum Trotz, hat Marc Hug und seine Filmgalerie den Kampf am Ende verloren. Gegen Video-on-Demand im Internet und gegen Dumpingpreise bei DVDs ist mit einer kleinen Videothek kaum anzukommen. Auch die Verkleinerung des Ladens sowie die Ausweitung des Programms durch Filmabende konnten dem Absatzrückgang keinen Einhalt gebieten. „Ich hätte mir gewünscht, dass früher so viele Leute da gewesen wären“, sagt Marc Hug, als er im Set in die Runde blickt, wo sich die Gäste, Kunden, Mitarbeiter und andere langjährige Wegbegleiter dicht nebeneinander drängen. Doch auch wenn er jetzt aufgeben muss, das Archiv bleibt ihm erhalten, und auch die Hoffnung an anderer Stelle, in anderer Form weitermachen zu können.

Eine erste zumindest temporäre Spielwiese ist schon gefunden: die ehemalige Daimler-Benz-Niederlassung an der Türlenstraße soll bald schon wieder kreativ zwischengenutzt werden. Wie vor einem Jahr wird dort auch Marc Hug mit seinem Filmtheater einziehen.